: Chiles Richter bitten um Verzeihung
VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG Die chilenische Justiz arbeitet ihr Verhalten während der Pinochet-Diktatur auf und räumt ein, das Leiden der Opfer ignoriert und die Grundrechte nicht geschützt zu haben
AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT
Die chilenische Justiz hat sich erstmals für ihre „Aktionen und Unterlassungen“ während der Militärdiktatur von 1973 bis 1990 entschuldigt. „Es ist die Zeit gekommen, um Verzeihung zu bitten, bei den Opfern, ihren Angehörigen und der chilenischen Gesellschaft“, heißt es in einer Erklärung der Asociación de Magistrados, Chiles wichtigster Richtervereinigung, kurz vor dem 40. Jahrestag des Militärputsches am 11. September.
„Die Justiz, besonders der Oberste Gerichtshof, hat in dieser Zeit ihre essentielle Arbeit, die Grundrechte und Opfer des staatlichen Missbrauchs zu schützen, aufgegeben.“ Dabei habe sie die Leiden der Opfer ignoriert, die ihr Eingreifen gefordert haben.
„Die Justiz hätte mehr tun können und müssen, gerade weil sie die einzige Institution war, in die die Putschregierung nicht intervenierte“, so die Richter. Die Gerichte waren damals ein Hort des vorauseilenden Gehorsams. Rund 9.000 Fälle wiesen sie ab, in denen Schutz für Verhaftete gefordert wurde. Man habe keine Informationen über die betreffende Person, so die oft lapidare Begründung. Berüchtigt ist der Satz des damaligen Obersten Richters Israel Bórquez: „Die Verschwundenen gehen mir auf den Senkel.“
Nur in einem Fall wurden die Richter aktiv: als sich der Leiter des kommunistischen Jugendverbands auf offener Straße und vor vielen Augenzeugen vor einen Omnibus warf. Noch in der folgenden Nacht wurde er von seinen Häschern ermordet.
Für den Menschenrechtsanwalt Héctor Salazar kommt die Erklärung der Richtervereinigung zwar spät, aber „besser als nie“. Für Salazar, der während der Diktatur Familienangehörige von Verschwundenen unterstützte, zeigt sie den grundlegenden Wandel in Chiles Justiz. Es sei an der Zeit, dass der Oberste Gerichtshof auch eine derartige Erklärung abgebe. Auch für Lorena Pizarro von der Vereinigung der Familienangehörigen der Verhafteten/Verschwundenen ist die Erklärung ein wichtiger Schritt, denn er komme von den „Arbeitern der Justiz“. Ein institutioneller Wandel stehe noch aus.
Das Militär hatte am 11. September 1973 unter Augusto Pinochet gegen die demokratisch gewählte Regierung des Sozialisten Salvador Allende geputscht. 3.000 Menschen wurden getötet, Zehntausende gefoltert.
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