: „Viele Banken sollten schließen“
KRISE Fünf Jahre nach der Lehman-Pleite spielen Staat und Banken immer noch mit viel zu hohem Risiko, warnt Finanzmarktexperte Martin Hellwig
■ Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn
■ Promoviert: am Massachusetts Institute of Technology (MIT), war in Standford, Princeton und Harvard tätig sowie Professor in Bonn, Basel und Mannheim
■ Seit 2012: Vizevorsitzender des Wissenschaftlergremiums, das den „Europäischen Ausschuss für Systemrisiken“ berät.
■ Im Oktober erscheint: „Des Bankers neue Kleider: Was bei Banken wirklich schiefläuft und was sich ändern muss“ (FinanzBuch Verlag, 350 Seiten, 24,99 Euro), das er gemeinsam mit Amat Admati, Professorin für Finanzwirtschaft in Stanford, geschrieben hat.
INTERVIEW ULRIKE HERRMANN
taz: Herr Hellwig, die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers ist genau fünf Jahre her. Wann kommt die nächste Finanzkrise?
Martin Hellwig: Sie sind zu optimistisch. Sie nehmen offenbar an, wir wären aus der letzten Krise schon heraus. Ein großer Teil der Banken ist aber noch dabei, die Leichen in ihren Kellern zu verarbeiten.
Was meinen Sie konkret?
Viele Banken sitzen noch auf Papieren, die weniger wert sind, als in den Büchern steht. Dazu gehören Immobilienkredite, Staatsanleihen – und Schiffskredite, die eine besondere deutsche Spezialität sind.
Wie hoch ist das Risiko, dass neue Kosten auf den Steuerzahler zukommen?
Die Seeschifffahrt ist seit 2008 in einer Krise. Und die Überkapazitäten steigen immer noch, weil die Schiffe, die 2008 geordert wurden, jetzt erst fertig werden. Ende 2012 hatten die deutschen Banken für 98 Milliarden Euro Schiffskredite in den Büchern stehen. Sie sind aber viel weniger wert: Lloyds Bank hat Schiffskredite mit einem Abschlag von 50 Prozent verkauft. Bei diesen Prozentsatz müssten die HSH Nordbank 13 Milliarden und die Commerzbank 9 Milliarden abschreiben.
Wie lange können die Banken ihre „Leichen“ noch verbergen?
Die deutsche Aufsichtsbehörde Bafin führt gerade eine Sonderprüfung bei den Schiffskrediten durch. Und wenn die Europäische Zentralbank ab Herbst 2014 die Aufsicht über die 130 wichtigsten Banken in der Eurozone übernimmt, wird sie vorher ebenfalls genau die Bücher prüfen. Wenn die Verluste aufgedeckt werden, wird der Staat wieder einspringen oder die Banken schließen müssen.
Wie teuer war die Finanzkrise bisher?
Insgesamt schätze ich die bisherigen Kosten auf etwas weniger als 70 Milliarden Euro. Bei der Commerzbank sind es 3 bis 6 Milliarden, 9 Milliarden waren es bei der IKB. Die Hypo Real Estate hat bisher mindestens 12 Milliarden gekostet, und bei der WestLB sind 18 Milliarden aufgelaufen, wie NRW-Finanzminister Walter-Borjans angibt. Dazu kommen noch die vielen anderen Landesbanken. Obwohl die Öffentlichkeit die Krise gern dem einstigen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zuschreibt, ist festzustellen, dass rund zwei Drittel der Verluste bei Banken angefallen sind, die vom Staat kontrolliert wurden.
Seit der Lehman-Pleite bemühen sich die Staaten, die Banken stärker zu regulieren. Was halten Sie vom Ergebnis?
Das Eigenkapital ist immer noch viel zu niedrig. Wenn eine neue Krise kommt, sind die Banken schnell wieder konkursreif und müssen vom Staat gerettet werden, weil der Verlustpuffer nicht ausreicht. Die Deutsche Bank hat momentan eigenes Kapital von etwa 3 Prozent – die restlichen 97 Prozent der Bilanzsumme werden durch Schulden finanziert, wie bei Lehman Brothers. Erst bei einem Eigenkapital von 20 bis 30 Prozent wären die Banken und das Finanzsystem einigermaßen sicher.
Die Banken behaupten, so viel Eigenkapital sei nicht zu beschaffen. Wo soll das Geld herkommen?
Wenn Banken profitabel sind, wie etwa die deutschen Sparkassen, können sie die Gewinne einbehalten. Profitable Banken, die an der Börse notiert werden, können auch neue Aktien ausgeben. Aber viele Banken sind nicht profitabel und sollten geschlossen werden. Wir haben zu viele Banken, die nur mit Zocken über die Runden kommen.
Wenn mehr Aktien ausgeben werden und der Bankgewinn gleich bleibt, sinkt der Gewinn für den einzelnen Aktionär. Die „Eigenkapitalrendite“ würde geringer. Ackermann hielt aber eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent für zwingend.
Seine Aussage ist absurd. Was die Aktionäre als Eigenkapitalrendite erwarten, hängt davon ab, wie riskant die Aktien sind und was sie auf andere Anlagen bekommen. Derzeit bekommt man ohne Risiko vielleicht 1 Prozent. Eine Rendite von 25 Prozent auf eine Anlage ist nur erforderlich, wenn da sehr viel Risiko drinsteckt. Das Risiko für die Aktionäre würde aber sinken, wenn die Bank mehr Eigenkapital einsetzen würde. Im Übrigen: In die Nähe einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent ist die Deutsche Bank nur in den Jahren von 2005 bis 2007 gekommen, als man viel Geld mit der Produktion von toxischen Papieren verdiente.
Die Deutsche Bank ist also eine Zockerbude?
Bei der Deutschen Bank und anderen Großbanken wie UBS oder JPMorgan Chase machen die Einlagen und die Unternehmenskredite meist weniger als die Hälfte der Aktivitäten aus. Der Rest ist spekulatives Geschäft, wie bei einem Hedgefonds. Nur diese Banken finanzieren sich nicht wie Hedgefonds.
Und das heißt?
Was selten gesehen wird, ist, dass die meisten Hedgefonds nur mit dem Eigenkapital ihrer Anleger operieren. Der Verschuldungsgrad beträgt maximal 50 Prozent. Über ein derart hohes Eigenkapital sollten auch die Investmentabteilungen der Großbanken verfügen. Stattdessen spekulieren sie mit 90 Prozent oder mehr an geliehenem Geld, und das Risiko tragen wir alle.
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