LESERINNENBRIEFE : Trittin und die Pädophilie-Debatte
Der Gastbeitrag von Franz Walter und Stephan Klecha „Die fatale Schweigespirale“ am Montag und die an den folgenden Tagen in der taz dazu veröffentlichten Artikel und Meinungsbeiträge finden immer noch viel Resonanz.
Unerträglich
■ betr.: „Vergangenheit statt Zukunft“, taz vom 17. 9. 13
So schlimm ich die Tatsache finde, dass in der Anfangszeit der Grünen pädophile Gruppen Einfluss auf Partei und Programmatik hatten und die Ausflüchte eines Herrn Cohn-Bendit nur schwer zu ertragen sind, so scheinheilig und unerträglich sind die Moralapostel der Union. Ich wäre froh, wenn die Union ihre Haltung zum Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung und die über 25 Jahre andauernde Blockade eines Verbots der Vergewaltigung in der Ehe von einem unabhängigen Gutachter beleuchten lassen würde. Ohne die Grünen wären diese elementar notwendigen Reformen kaum zustande gekommen. ATTILA GÜMÜS, Köln
Klare Worte
■ betr.: „Am Pranger“, taz v. 19. 9. 13
Ich bin erleichtert, dass die taz endlich mal den „aufklärerischen“ Brei von Walter/Klecha aus Göttingen vernünftig würdigt als das, was es ist: eine ahistorische Stimmungsmache, die weder Neues bietet noch in irgendeiner Weise vorwärts gerichtet ist. Im Gegenteil: Das angeblich unpolitische Herumgeforsche bietet nichts weiter als die punktuelle Beschreibung vergangenen Handels der politischen Ahnen der Grünen. Mit ernsthafter Analyse, die man Wissenschaftlern gemeinhin unterstellt, hat das nichts zu tun, dafür umso mehr mit Effekthascherei – und das ist nur zum Kotzen.
Danke für die klaren Worte von Martin Reeh, der endlich sagt, wo die Feinde – die biederen Frauenfeinde und Vergewaltigerfreunde – stehen: jedenfalls nicht an der Göttinger Kinderwiege der Grünen! FRITZ HOBEL, Lüneburg
Ahnungslosigkeit
■ betr.: „Konservative fordern Trittins Abtritt“, taz vom 18. 9. 13
Der gewählte Zeitpunkt zeigt, dass Prof. Walter daran gelegen war, die Wähler noch rechtzeitig vor ihrer Wahlentscheidung über diese ihm sehr wichtig erscheinende Erkenntnis zu informieren. Ich frage mich, ist diese Information wirklich so gewichtig. Denn was wurde festgestellt: Trittin hat in einer Veröffentlichung des Wahlprogramms als presserechtlich Verantwortlicher gezeichnet. Das heißt aber nicht, dass er die Verantwortung für das verbreitete Programm übernommen hat.
Fakt war, dass die pädophile Passage mehrheitlich von den Grünen beschlossen war, also zum Programm gehörte. Gleich was er selbst davon halten mochte, er musste als presserechtlich Verantwortlicher auch die für das Ansehen der Grünen ungünstige Passage übernehmen. Er durfte den Wählern diesen Programmteil nicht vorenthalten.
Wo ist also das Fehlverhalten, das die Wähler für die Bundestagswahl 2013 unbedingt wissen müssen? Es handelt sich um einen Fall professoraler Ahnungslosigkeit.
ALFRED MAYER, München
Sich selbst fragen
■ betr.: „Vergangenheit statt Zukunft“, taz vom 17. 9. 13
Ein/e Jede/r möge sich fragen, habe ich in meinem Leben Entscheidungen getroffen, die ich später revidiert, zutiefst bereut habe und für die ich eingestanden bin. Öffentlich zu sagen: „Es tut mir Leid, es war eine absolut falschen Entscheidung“, ist eine Sache. Wie es damit meinem Innersten geht, das kann ich nur mit mir selbst ausmachen, wenn ich noch einen Funken Anstand im Leib, im Herzen hab.
Es wird Zeit, dass endlich dieser unsägliche Wahl-„Kampf“ aufhört. Ich kann nur mich selbst fragen, was ist mir wichtig, von welcher Partei, möchte ich in Zukunft regiert werden. Wer vertritt meine Vorstellungen. Wer ohne Schuld ist … Diese alte Weisheit gilt noch immer.
CHRISTL SAARBOURG, Karlsruhe
Enttäuscht
■ betr.: „Am Pranger“, 19. 9. 13
Es fällt auf, dass die taz durch Kommentare den von ihr selbst angerichteten Schaden etwas korrigieren möchte. Dabei ist dieser längst zur Katastrophe für die Grünen geworden, da seit der Erstveröffentlichung in der taz ganz Deutschland nicht mehr über die Skandale der Merkel-Regierung (Hallo, war da was?), sondern über die Anfänge der Grünen diskutiert. Die relativierenden Kommentare reichen aber nicht!
Was war das denn für eine wissenschaftliche Auswertung, wenn ein öffentliches Wahlprogramm von 1981 zusammenhanglos ohne Betrachtung des Hintergrundes veröffentlicht wird? Wer stellte denn die Frage, wie lange der Göttinger vermeintliche Politikwissenschaftler Walter das Göttinger Programm schon in seinem Giftschrank lagerte? Hier kochte doch jemand erkennbar sein eigenes (vielleicht persönlich motiviertes) Süppchen. Mich hat die taz jedenfalls maßlos und nachhaltig enttäuscht.
ULRICH KLEEMANN, Koblenz
Muss nicht sein
■ betr.: „Kulturkampf von rechts“, taz vom 18. 9. 13
Andreas Fanizadeh kritisiert heute zu Recht den interessiert unkritischen Kulturkampf von rechts, insbesondere gegen Trittin. Allerdings hat die taz gestern selbst mit Nina Apin diesen Kulturkampf befeuert („Die grüne Verteidigungsstrategie ist gescheitert“). „Zu spät“, bescheinigt Apin ausgerechnet in diesem Fall, da mal eine Partei mit ihrer in Auftrag gegebenen Selbstkritik gründlicher und schneller ist als etwa Nachtreter wie Apin oder die FAS. Immerhin hat die gute Frau jetzt mal fünf Minuten mit den Wölfen heulen dürfen … aber warum ausgerechnet in der taz?! Das muss doch nicht sein.
PETER SCHLÖTTER, Karlsruhe
Extrem einseitig
■ betr.: „Abkehr von der falschen Liberalität“, taz.de vom 17. 9. 13
Transparenz ist mir wichtig und aus diesem Aspekt heraus finde ich die Berichterstattung über die Sexualpolitik in den 70ern und 80ern wichtig. Ausgewogenheit ist mir ebenso wichtig und in diesem Aspekt gefällt mir die Berichterstattung der taz in keiner Weise. In den letzten Tagen war fast ausschließlich dieses eine Thema im Bezug zu den Grünen hier zu finden. Ich hätte mir wirklich gewünscht, die taz hätte sich ebenso intensiv mit der aktuellen Politik der Grünen befasst. Und: „Dieser zeitgeschichtliche Kontext ist wichtig, um zu erklären, warum ihnen die Grünen, die FDP und andere zivilgesellschaftliche Organisationen zunächst offen gegenübertraten.“ Warum bekommt man von der Rolle der FDP und den „anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen“ in diesem Kontext nicht eine ebenso detaillierte Berichterstattung? In meinen Augen ist das extrem einseitig. Das ist nicht das Niveau, dass ich von der taz erwarte.
CAPTAIN KNORKE, taz.de
Das ist gut so
■ betr.: „Abkehr von der falschen Liberalität“, taz.de vom 17. 9. 13
Die taz lässt sich nicht von parteipolitischem Kalkül leiten, und das ist gut so! Auch die Grünen müssen sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und haben das in Auftrag gegeben. Ihre Haltung ist dabei wesentlich ehrlicher, als das Verhalten der katholischen Kirche in Bezug auf ihre Missbrauchsfälle.
Zu fragen bleibt, ob Herr Walter erst jetzt zu seiner Erkenntnis gekommen ist oder eine zweite Agenda hat? FRANK SPADE, taz.de
Fischen im braunen Sumpf
■ betr.: „Vergangenheit statt Zukunft!“, taz vom 17. 9. 13
Einen unsinnigen Gesetzesvorschlag zu machen, ist noch kein Unrecht. Und da Studierende dazu studieren, dass sie auch Neues und Ungewohntes bedenken und vorschlagen, sollte man so etwas nicht zu ernst nehmen. Die stark von den Kirchen beeinflusste Reaktion auf die NS- und Kriegszeit hatte zu einer gerade in sexuellen Fragen recht verklemmten Gesellschaft geführt. Kondome auch nur zu erwähnen, galt schon als Förderung der Unzucht. Die sexuelle Revolution dank der Pille war da kein Wunder. Dass der Protest auch zu Übertreibungen und falschen Forderungen führte, ist verständlich. Die Angriffe auf Trittin und die Grünen sind vor allem Wahlkampf nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ zur Ablenkung von der Fremdenfeindlichkeit, mit der Herr Seehofer in Bayern Wahlkampf gemacht hat. Eine Maut nur für Ausländer ist rechtlich nicht möglich, das weiß er natürlich. Aber der bayerische Ministerpräsident hat selbst berichtet, dass diese Forderung überall in den Bierzelten begeisterte Zustimmung fand. Welche Chance! Fischen im braunen Sumpf hat katastrophale Folgen, doch das diskutiert nicht einmal die taz in diesem so offensichtlichen Fall. ULRICH FINCKH, Bremen
Danke, Franz Walter
■ betr.: „Die fatale Schweigespirale“, taz vom 16. 9. 13
Endlich mal wieder ein substanzieller Beitrag zum Wahlkampf. Rund eine Woche vor dem Wahltermin ist es Ihnen endlich gelungen, mit einem taz-Artikel eine substantiierte Debatte über das Verhältnis der Grünen zur Pädophilie in Gang zu setzen. Hochwahlkampfzeiten sind ja für differenzierte Debatten ein besonders geeignetes Umfeld – und so haben sich dann ja auch fast alle politischen Beobachter gefreut, dass sie die von Trittin zu verantwortende Göttinger Veröffentlichung aus 1981 jetzt in die Öffentlichkeit gebracht haben.
Natürlich konnten Sie nicht ahnen, dass seitens von Koalitionspolitikern das Thema etwas weniger komplex aufgegriffen werden würde. So hat Philipp Missfelder (aus der CDU/CSU-Fraktion, die noch im Jahr 2000 die Verankerung eines Rechts auf gewaltfreie Erziehung im § 1631 BGB abgelehnt hat) folgerichtig gefordert, dass Jürgen Trittin in der letzten Wahlkampfwoche seinen Rücktritt erklärt. Da ist es dann rührend, dass Sie öffentlich erklären, ein solcher Rücktritt sei aus Ihrer Sicht nicht notwendig. Das wird potenzielle Wähler sicher überzeugen.
Lassen Sie sich nicht beirren. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung war schon geschickt gewählt.
Und wenn man Gefahr läuft, eine Woche später mit dem Hinweis auf einen 1981er Vorgang am Ende gar nicht so richtig in die Medien zu kommen, ist es allemal besser, jetzt die Chance zu ergreifen, auch wenn dies rein gar nichts beiträgt zu einer Debatte, die sich um eine Erforschung der damaligen Haltungen bemüht. Ihre Haltung ist gleichzeitig eine große Ermutigung für alle, die Forscher beauftragen, Sachverhalte aufzuklären und unabhängig zu ermitteln. Denn wenn mit derart hoher Verantwortung über Zeitpunkt und Art der Veröffentlichung von Teilergebnissen entschieden wird, dann kann man sicher sein, dass es Forschern wie Ihnen ausschließlich um die Sache geht.
GEORG KRÄMER, Bielefeld
Ohne Grüne weniger Umweltschutz
■ betr.: „Vergangenheit statt Zukunft“, taz vom 17. 9. 13
Durch die Schützenhilfe der taz wird hier kurz vor der Wahl die Grünen-Partei angegangen, die in ihrer Gründerzeit, aber auch in einem völlig anderen gesellschaftlichen Umfeld, Fehler bezüglich der Einstellung zur Pädophilie gemacht haben. Trotzdem sollten die Wähler_innen bedenken, dass unser Deutschland ohne die Grünen viel weniger Umwelt- und Naturschutz hätten, Fracking in großem Stil, erheblich mehr Luftemissionen unserer Industrie sowie keinen geplanten Ausstieg aus der Atomkraft, weniger Erneuerbare und auch weniger Kinderbetreuung. Die grüne Partei zwang die anderen sich mit dem Schutz unserer Lebensgrundlagen, unseres Planeten auseinanderzusetzen. Die bisherige Regierung hat den weiteren Ausbau Erneuerbarer erheblich gestört und will v. a. die großen Stromriesen in Profit bringen. Von der Solarförderung haben viele kleine Leute profitiert, u. a. die Bauern, im Gegensatz zu vielen Förderprogrammen für die Großindustrie. Die Solarförderung nur schlechtzureden, ist billig. Wenn wir die bisherige Regierung wieder wählen, wird die Kluft Arm–Reich weiter auseinandergehen. Hoffen wir, dass wir mündige Bürger nicht nur Wahlversprechen bei der Wahl berücksichtigen, sondern kritisch zurückblicken, was die Parteien für Verdienste für alle ihre Bürger erworben haben.
CHRISTINE KNAPS, Wolpertswende
Der Artikel war überfällig
■ betr.: „Trittin am Pranger“, taz.de vom 19. 9. 13
Der Artikel war überfällig. Dissens gibt’s nur in einer Hinsicht: „Der Göttinger Professor ist Politikwissenschaftler. Und dennoch könnte er wissen, dass man Geschichtsaufarbeitung nicht betreiben kann, indem man einzelne Dokumente in die Öffentlichkeit trägt, ohne sie ausreichend im Kontext zu bewerten: Zeitzeugen zu befragen, den Horizont der Gesamtgesellschaft und der Gruppe zu bewerten, den Entscheidungsspielraum und die Perspektiven der Akteure zu berücksichtigen.“ Das kann er als Politologe eben nicht, und darum halten auch alle anderen Wissenschaften die Politologen für geistlose Schaumschläger. STEFAN, taz.de
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