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Notwehr oder Selbstjustiz

PROZESS Mit einer milden Strafe kommt ein Kioskbetreiber davon, der einen Einbrecher überwältigt, niedergeschlagen und anschließend in einen Kofferraum gesperrt hat

„Wer Opfer eines Einbruchs wird, darf sich zur Wehr setzen“, sagt der Amtsrichter. In Maßen jedenfalls.

VON JAN ZIER

Es war „Selbstjustiz“, sagt der eine. Es war „Notwehr“, sagt der andere. Es war gefährliche Körperverletzung und Freiheitsberaubung, sagt das Amtsgericht in seinem Urteil – und belässt es am Ende doch bei einer Verwarnung für Herrn C.

Der hat seit vielen Jahren einen Kiosk auf der Hemmstraße. Einen, der – wenn überhaupt – nicht viel abwirft. Und in den doch schon mehrmals eingebrochen wurde. Also hat C. – man könnte sagen: sich auf die Lauer gelegt, zumindest aber im Laden übernachtet. Um seine Sachen zu schützen, wie er sagt. Waffen hat er keine. Schon für ein Sicherheitsschloss fehlt das Geld.

Es ist Januar 2009, als M. des Nachts mit einem Kumpel durch Findorffs Straßen zieht, um „irgendwo“ einzubrechen, wie er heute sagt. Er ist drogenabhängig und braucht das Geld. Seit vielen Jahren konsumiert er Haschisch und Ecstasy, aber auch LSD und Koks. An diesem Abend, sagt er, ist er auf Cannabis. Mit einem Gullydeckel schlägt er die Scheibe des Kiosks ein, nimmt seine Sporttasche und steigt ein.

Was dann genau passiert, darüber gehen die Angaben vor Gericht weit auseinander. „Es war eine prekäre Lage für uns beide“, sagt C. heute. Möglicherweise hat M. ein Messer gezogen, vielleicht aber auch gar keines dabei, möglicherweise war die Stange, die sich C. griff eine aus Eisen. Er habe „unter Schock“ gestanden, sagt C. vor Gericht, und habe versucht sich zu wehren, mit allem, was er zu fassen bekam. Mehrmals schlägt er auf den Einbrecher ein, vermutlich auch noch, als der schon zu Boden gegangen war. Aber auch das lässt sich so ganz nicht mehr klären. M. wird mehrere Platzwunden am Kopf davon tragen, eine Quetschwunde am Bein, dazu Prellungen.

Und ein „Trauma“, wie er sagt. Denn C. hat ihn nicht nur, mit Hilfe einer Kette, an der Tür seines Ladens festgebunden – um dann die Polizei zu verständigen. Nein, er hat ihn dann auch noch in den Kofferraum seines Opel gesperrt, um dann erst später, möglicherweise: Stunden später, die Polizei zu rufen. Warum? „Ich war völlig durcheinander, nicht im Stande, zu denken.“ Irgendwann kann sich M. mit Hilfe eines Schraubenziehers befreien. Bei der Polizei wird er später angeben, überfallen worden zu sein, ehe er sich in Widersprüche verstrickt. „Ich hatte Todesangst“, sagt M. vor Gericht, und dass er mit seinem Leben schon abgeschlossen habe, in der Vorstellung, im Fluss versenkt zu werden. Sieben Monate später wird er dennoch wieder einen Einbruch verüben, inzwischen ist er wegen dieses und anderer Fälle zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Derzeit macht er Drogen- und Traumatherapie.

„Wer Opfer eines Einbruchs wird, darf sich zur Wehr setzen“, sagt Amtsrichter Hans Ahlers. Aber deswegen noch lange niemanden einsperren. Wo die Freiheitsberaubung anfing, war die Notwehr also „überschritten“, so der Tenor. Das aber bleibt nur dann straffrei, wenn es aus Furcht, Verwirrung oder Schrecken geschieht. Ob das hier der Fall war? Die Frage bleibt unbeantwortet.

Am Ende kommt C. mit einer zur Bewährung ausgesetzten Geldstrafe davon. Zahlen muss er dennoch: 1.000 Euro Schmerzensgeld an M.

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