: Fast alles beim Alten
LINKSPARTEI Gregor Gysi wird mit 80 Prozent zum alleinigen Fraktionschef gewählt – Sahra Wagenknecht ist sauer. Mit ihrer Kandidatur hat sie sich offenbar verkalkuliert
VON STEFAN REINECKE
BERSTELAND taz | „Beide Flügel fühlen sich so stark wie nie“, sagt eine Realo-Abgeordnete, die schon länger dabei ist. Das beschreibt die nicht unproblematische Lage der neuen Bundestagsfraktion der Linkspartei. Je 32 Abgeordnete kommen aus dem Westen und dem Osten. Es herrsche „ein Gleichgewicht des Schreckens“, witzelten Bundestagsabgeordnete in dem Hotel südlich von Berlin, wo am Dienstag und Mittwoch die Klausur der neuen Fraktion stattfand.
Gysi bleibt alleiniger Fraktionschef. Er wurde mit 80 Prozent gewählt. Sahra Wagenknecht wird seine wichtigste Stellvertreterin werden – sie bekam 66 Prozent –, Dietmar Bartsch ein bisschen weniger wichtiger Vizefraktionschef. Plus weitere sechs Vizefraktionschefs, paritätisch nach Ost/West, Realo/Fundi, Mann/Frau quotiert. Doch ganz so einfach wie gedacht war die Bildung der neuen Fraktionsführung nicht. Der Zeitplan wurde jedenfalls gesprengt, die Pressekonferenz am Mittwochnachmittag verschoben. Es gab Diskussionsbedarf. Die West-Linke Ulla Jelpke sagte: „Ich verstehe nicht, warum Sahra Wagenknecht nicht als Ko-Chefin von Gysi akzeptiert wird.“ Wagenknecht sei im Fraktionsvorstand doch „kooperativ“ aufgetreten. Das wiederum sehen manche Ost-Pragmatiker anders.
Wagenknecht ließ am Dienstag ungewöhnlich deutlich durchblicken, was sie von Gysis Machtanspruch hält. Der habe die Fraktion quasi erpresst – indem er streute, dass er als Fraktionschef geht, wenn man ihm die linke Flügelfrau zur Seite stellt. Viele Ost-Pragmatiker wiederum fürchten, dass Wagenknecht als Fraktionschefin einen strammen Anti-SPD-Kurs einschlagen würde.
Wagenknecht, so die Lesart des Gysi-Lagers, habe sich einfach verkalkuliert. Sie habe vor der Klausur ihre Ambitionen zu deutlich bekannt gegeben – und musste dann erkennen, dass ihr für eine Revolte gegen Gysi schlicht die Bataillone fehlen. Auch die 32 West-Linken sind kein homogener Block.
Die politischen und habituellen Differenzen sind nicht kleiner als in der letzten Fraktion. Exparteichef Klaus Ernst sagte der taz kürzlich, dass die Partei weder in Ost noch in West alleine über 5 Prozent gekommen wäre. Daher müsse man sich einigen, so Ernst. Das klang eher nach Notgemeinschaft und Einsicht ins Unabänderliche, aber nicht wirklich, als wachse nun freudig zusammen, was zusammengehört.
Dafür soll als parlamentarische Geschäftsführerin Petra Sitte sorgen – als Nachfolgerin von Dagmar Enkelmann. Sitte kommt aus Sachsen-Anhalt und zählt zum Lager der Pragmatiker. Ihre Wahl war bei Redaktionsschluss noch nicht sicher. Obwohl die Flügel sich auf ein Gesamtpaket verständigt hatten, hakte es: Finanzexperte Axel Troost wollte für den Posten als Fraktionsvize gegen Klaus Ernst antreten. Und damit kam die gesamte Machtarchitektur für einen Moment durcheinander.
Sicher ist, dass die Linkspartei auf kreative Opposition setzt, auch mit Knalleffekten. Gleich in der ersten Sitzung des neuen Bundestags und lange vor der Bildung einer Regierung will sie fünf Gesetze einbringen: vom gesetzlichen Mindestlohn über die rechtliche Gleichstellung von Homo-Ehen bis zur Abschaffung des Betreuungsgeldes. Das sind auch Forderungen von SPD und Grünen. Die dürften diesen PR-Coup überhaupt nicht amüsant finden.
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