: Es lebe die gute Mischung
LEGENDEN Bier auf Wein, das lass sein – Wein auf Bier, das rat ich dir. Alles Quatsch, sagen die Experten. Aber vielleicht hat’s mal gestimmt
VON LUISE STROTHMANN
Stefan Keller hatte sich vorgenommen, das Ganze richtig wissenschaftlich durchzuziehen. Seine Probanden durften einen Tag lang nur Gemüse essen und Wasser trinken. Ein Bekannter, der eine Krankenpflegerausbildung machte, brachte zur Sicherheit ein Blutdruckmessgerät mit. Die fünf Freunde kamen an diesem Tag nicht wie sonst zum Videogucken in Stefan Kellers Wohnung im südpfälzischen Dahn. Dieses Mal kamen sie, um ein medizinisches Rätsel zu lösen: „Bier auf Wein, das lass sein. Wein auf Bier, das rat ich dir.“ Es war ihnen schon oft auf Partys begegnet. Sobald das Bier alle war und nur noch Wein übrig, ploppte der Satz im Kopf auf wie ein Werbefenster im Internet.
Stefan Keller, 27 Jahre alt und Metallbauer, hatte sich eine Versuchsanordnung ausgedacht. Zuerst tranken alle zwei Liter Bier in zwei Stunden, dann in einer Stunde je eine Flasche Wein. Portugiesischen Weißherbst lieblich. Niemand klagte. Eine Woche später versuchten sie es andersherum. Drei von fünf Probanden wurde schlecht, einer übergab sich.
„Ich hoffe, dass ich mit diesem weiteren Experiment diesen Mythos bezwungen habe“, hackte Stefan Keller in seine Tastatur und stellte einen Text in ein Biologie-Forum. Er will gegen den Mythos kämpfen, dass das Sprichwort von Wein und Bier nur ein Mythos ist.
Für Lebensmittelchemiker Udo Pollmer belegen solche Experimente nur, wie viel Einbildung im Körper bewirken kann. „Es ist erwiesenermaßen Quatsch, dass die Reihenfolge irgendeinen Einfluss auf die Wirkung hat“, sagt er. Der Wissenschaftler hat ein Buch über populäre Ernährungsirrtümer geschrieben. Alle seine Kollegen geben ihm recht: An dem Kneipenspruch ist nichts dran.
Aber es muss mal etwas dran gewesen sein. Denn auch in anderen Ländern rät man sich Ähnliches. „Bier op wijn is venijn; wijn op bier geeft plezier“, sagt man in den Niederlanden. „Sörre bor mindenkor, borra sör meggyötör“ heißt es auf Ungarisch: Wein nach Bier geht immer, Bier nach Wein macht krank. Und in Norwegen: „Øl, så vin, så blir du fin. Vin, så øl, så blir det søl.“ Bier, dann Wein, geht’s dir fein. Wein, dann Bier, da wirst du besudelt.
„Es gibt die Hypothese, dass es dabei einst nicht um das Hintereinandertrinken an einem Abend ging, sondern um einen lebensgeschichtlichen sozialen Auf- oder Abstieg“, sagt der Mannheimer Suchtforscher Falk Kiefer. Vom Wein der Reichen zum Bier des Volkes wechseln zu müssen symbolisiere Misserfolg.
Lebensmittelchemiker Pollmer glaubt nicht an kulturwissenschaftliche Theorien. „Wenn es ein Sprichwort in verschiedenen Ländern gibt, hatte es in seiner Entstehungszeit fast immer einen biologischen Hintergrund“, sagt Pollmer. Wein und Bier von heute seien mit ihren Vorgängern vor einigen hundert Jahren nicht mehr zu vergleichen. Einige Forscher vermuten, der hohe Restzucker im Wein hätte im Bauch des Trinkers unangenehm weitergegoren, wenn er mit noch aktiver Bierhefe aufgeschüttet wurde. Aber das ist Pollmer zu einfach. „Glukose ist überall drin, dann müsste der Spruch heute heißen: Trink kein Radler, denn da ist so viel Zucker drin.“ Was einst die Erklärung gewesen sein könne, habe noch niemand herausgefunden, sagt Udo Pollmer. Aber er ist sich sicher: Für heute gilt sie nicht mehr. Schlecht werde nur dem, der zu viel Angst davor habe, dass ihm schlecht wird.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen