: Der Aufschwung soll kommen
KONJUNKTUR Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten deutliches Wachstum im nächsten Jahr und warnen vor Mindestlöhnen. Gewerkschaften empört. Risiken wegen Euro-Krise
VON RICHARD ROTHER
BERLIN taz | Die Wirtschaft in Deutschland steht vor einem Aufschwung. Diese Auffassung vertreten zumindest die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten, das am Donnerstag veröffentlicht wurde. Demnach werde das Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr um 1,8 Prozent wachsen; für 2013 erwarten die Forscher ein Plus von 0,4 Prozent. Zu den Instituten gehören das Münchner Ifo, das IWH aus Halle, das RWI aus Essen und das Berliner DIW. Das gewerkschaftsnahe IMK ist in seiner jüngsten Prognose zurückhaltender: Für dieses Jahr erwartet es ein Wachstum von 0,4 Prozent, für das kommende 1,2 Prozent.
Der Aufschwung werde von der steigenden Binnennachfrage getragen, prognostizieren die Gutachter. „Eine steigende Beschäftigung und merkliche Lohnzuwächse sorgen bereits seit längerem für eine robuste Entwicklung des privaten Verbrauchs.“ Die Zahl der Erwerbstätigen werde im nächsten Jahr auf über 42 Millionen steigen, während der Export um 5 Prozent zulege.
Als Risiken für die Konjunktur sehen die Gutachter ein Wiederaufflammen der Eurokrise. Die Europäische Zentralbank habe zwar die Lage an den Finanzmärkten beruhigt. Weitere Senkungen der Leitzinsen dürften sich aber kaum konjunkturstabilisierend auswirken, da die Probleme im Bankensektor der Krisenländer nicht behoben seien. Zur Stützung kriselnder Banken sollten zunächst die Eigentümer und Fremdkapitalgeber der Banken herangezogen werden, auch müssten die Nationalstaaten helfen. „Eine begrenzte europäische Lastenteilung kann lediglich die Ultima Ratio sein.“
Zur Überwindung der Eurokrise verfolgt das gewerkschaftsnahe IMK einen anderen Ansatz. Es empfiehlt eine „sehr moderate Lohnentwicklung in den Krisenländern, gleichzeitig stärkere Lohnzuwächse und eine kräftige Aufstockung der staatlichen Investitionen in Deutschland“.
Für das Inland warnen die Herbstgutachter vor einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn, wie ihn etwa die SPD, möglicher Koalitionspartner der Union, fordert. Dieser könne in Ostdeutschland, wo ein Viertel der Beschäftigten weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdiene, zu einem beträchtlichen Stellenabbau führen.
DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki kritisierte diese Argumentation scharf. Den Geringverdienern zuzurufen, „dass sie sich auch weiter bescheiden sollen, weil sonst ihr nicht existenzsichernder Arbeitsplatz wegfallen könnte, ist zynisch“.
Auch der Chefvolkswirt der Linksfraktion, Michael Schlecht, kritisierte die Herbstgutachter. Bei prognostizierten 1,8 Prozent Wachstum von Aufschwung zu reden, sei Unfug. „Die weltweiten Risiken können sehr schnell die Prognose zur Makulatur werden lassen.“ Mit einem Investitionsprogramm könne jedoch die Binnenkonjunktur gestärkt werden. „Mit einer stärkeren Belastung für Spitzenverdiener und Superreiche kann dies auch ohne Neuverschuldung finanziert werden.“
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