: Türken sollen über geänderte Verfassung abstimmen
REFORMEN Mehrheit der Abgeordneten des Parlaments votiert für Neuordnung des Justizwesens
ISTANBUL taz | Seit Mittwoch ist es offiziell. Die türkische Bevölkerung soll nach dem Willen der Regierung Erdogan vermutlich im Juni über eine umfangreiche Verfassungsreform abstimmen. Voraussetzung ist, dass das Reformpaket im Parlament in einer Schlussabstimmung mindestens 330 Stimmen bekommt. Die Einzelabstimmungen sind in zweiter Lesung nahezu abgeschlossen. Mit der Abstimmung über die Neubesetzung des Verfassungsgerichts und dem Hohen Richterrat sind zuletzt zwei wichtige Hürden auf dem Weg zur Verfassungsreform genommen worden. Allerdings scheiterte die regierende AKP von Premier Tayyip Erdogan zuvor mit dem Versuch, ebenfalls per Verfassungsreform das Verbot von politischen Parteien substanziell zu erschweren.
Die Neuordnung der Justiz, die mit der Abstimmung in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch einen guten Schritt vorangekommen ist, gehört zu den wesentlichen Anliegen, die die türkische Regierung mit der Verfassungsreform betreibt. Dabei soll sowohl die Anzahl der Verfassungsrichter erhöht werden als auch die Zahl der Personen in dem Gremium, dass für die Berufung in höchste Richterämter zuständig ist.
Bislang wurden Richter vor allem von anderen Richtern in höchste Ämter berufen, nur der Präsident hatte Einfluss auf den Hohen Richterrat. Jetzt sollen die Ratsmitglieder und die Verfassungsrichter zum Teil vom Parlament gewählt und der Rest vom Präsidenten ernannt werden. Kritiker werfen der Regierung vor, sie wolle die Unabhängigkeit der Justiz aushöhlen und die hohen Gerichte der Regierung gegenüber gefügiger machen.
Trotz der Kritik stimmten 337 Abgeordnete – einer mehr, als die AKP-Fraktion zählt – der Justizreform zu. Anders erging es der Regierung beim Versuch, das Verbot von politischen Parteien per Verfassung zu erschweren. Überraschend stimmte selbst ein Teil der AKP-Fraktion dagegen, sodass Erdogan nur auf 327 Stimmen kam. Da die AKP keine Zweidrittelmehrheit im Parlament hat, muss sie die Reformvorschläge, die mit einer Mehrheit von mindestens 330 Stimmen im Parlament akzeptiert wurden, dem Präsidenten vorlegen. Dieser kann dann ein Referendum ansetzen. In der Türkei wird damit gerechnet, dass Präsident Abdullah Gül im Juni eine Volksabstimmung durchführen lassen wird. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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