: Im kurdischen Kabinett sitzen drei Frauen
Die neue Regionalregierung im Nordirak soll die Spaltung zwischen den beiden großen Parteien KDP und PUK beenden. Ihnen unterstehen jedoch weiterhin die Sicherheitskräfte. Doch die Unzufriedenheit mit der Gängelung durch die Kader nimmt zu
AUS ERBIL INGA ROGG
Von Jubelstimmung oder Freudentänzen, wie man sie beim Urnengang zum Regionalparlament vor 15 Monaten oder der Wahl von Massud Barzani zum Präsidenten von Kurdistan zu sehen waren, war am Sonntag in Erbil und Suleimania nichts zu sehen. Dabei haben die beiden großen Parteien, die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK) einen weiteren Schritt zur Beilegung ihres langjährigen Konflikts getan und sich auf eine Koalitionsregierung geeinigt. Rein formal ist das damit das Ende der beiden Teilregierungen in Erbil (KDP) und Suleimania (PUK) besiegelt.
Einstimmig haben die 111 Abgeordneten des Regionalparlaments dem Kabinett von Ministerpräsident Nechirvan Barzani ihr Vertrauen ausgesprochen. Zum Stellvertreter von Barzani wurde dessen ehemaliger Widersacher Omer Fatah von der PUK gewählt. Dem Kabinett gehören 42 Minister und Staatsminister an. Darunter sind auch Vertreter von kleineren Parteien sowie Repräsentanten der ethnischen Minderheiten wie der Christen, Jesiden und Turkmenen.
Zum Unmut vieler Politikerinnen sind in der neuen Regierung jedoch nur drei Frauen vertreten. „Alle reden von Frauenrechten und dann speisen sie uns so ab“, sagte die Parlamentsabgeordnete Pakhshan Zangana. Die irakische Verfassung sieht im Parlament eine Frauenquote von 25 Prozent vor. Kurdistan, wo Frauen politisch und rechtlich deutlich besser gestellt sind als im Rest des Landes, hätte hier ein Zeichen setzen können, sagte die KDP-Politikerin Shirin Amedi. Hier sei eine große Chance vertan worden.
Es war freilich nicht die einzige Chance, die KDP und PUK in den monatelangen Verhandlungen vergeben haben. Das überdimensionierte Kabinett – Kurdistan hat knapp vier Millionen Einwohner – zeigt, dass keine der beiden Seiten zu einem schmerzhaften Kompromiss bereit war. So sind die zentralen Ressorts Inneres, Peschmerga-Angelegenheiten, Wirtschaft und Finanzen sowie Justiz nur theoretisch unter einem Dach vereint. Faktisch unterstehen vor allem die Peschmerga-Einheiten, der Staatsschutz und die Polizei auch weiterhin der Kontrolle von KDP beziehungsweise PUK.
Frühestens in zwei Jahren sollen die Einheiten zusammengeführt werden. Von einer Beschränkung des Zugriffs der Parteien auf den hoch politisierten Sicherheitsapparat ist dabei keine Rede. Überhaupt zeigen diese wenig Neigung, ihre Macht an Parlament und Regierung abzugeben. Wie immer wurde auch der jetzige Kompromiss hinter verschlossenen Türen von den beiden Politbüros ausgehandelt.
Angesichts der katastrophalen Sicherheitslage im Rest des Landes sind viele Kurden bereit, das Machtmonopol von KDP und PUK zu ertragen. Doch die Unzufriedenheit insbesondere unter den Jugendlichen wächst. Sie haben das Saddam-Regime nur am Rande erlebt, dafür aber den kurdischen Bürgerkrieg in den 90er Jahren, der mindestens 3.000 Tote forderte und zur Spaltung in einen westlichen und östlichen Landesteil führte. Aber selbst ehemalige Widerstandskämpfer und Aktivisten wollen sich nicht länger ans Gängelband der Parteikader legen lassen.
In dem Tauziehen um die Verfassung und die Regierungsbildungen in Bagdad haben sich Barzani und sein alter Rivale Dschalal Talabani von der PUK als geschickte Verhandlungspartner erwiesen. Talabani wurde kürzlich zum zweiten Mal zum Staatspräsidenten gewählt. Weder Schiiten noch Sunniten haben Einwände gegen den kurdischen Teilstaat.
Der Fortbestand der Peschmerga ist durch den Verfassungsartikel, der den Regionen die Aufstellungen eigener Sicherheitskräfte erlaubt, garantiert. Dass das umstrittene Kirkuk über kurz oder lang Teil Kurdistans wird, bezweifeln heute im Irak nur noch wenige. Als Mittler zwischen Schiiten und Sunniten und als treue Verbündete der US-Amerikaner sind die Kurden heute diejenigen, die das Zweistromland zusammenhalten. Im Grunde genommen sind sie mächtig wie nie zuvor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen