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Stempel der Täuschung

Im Prozess um einen 18 Jahre zurückliegenden Mord bringt ein dubioser Stempel die Lübecker Mordkommission in die Bredouille: Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Aktenmanipulation

„Für eigenes kriminelles Tun“, sagt einer der Verteidiger, „hat die Lübecker Polizei sogar einen Stempel“

von Kai von Appen

Der spektakuläre Mordprozess gegen den verurteilten Straftäter Johannes Mohns (52) vor dem Lübecker Landgericht entwickelt sich zunehmend zu einer Polizeiaffäre. Im Verfahren – 18 Jahre nach der angeklagten Tat – stellte sich heraus, dass die Fahnder der Mordkommission Lübeck offenbar neue Ermittlungen seit 2003 manipuliert haben. Wie es aussieht, haben sie aufschlussreiche Verhör-Protokolle und brisante Akten mit einem Stempel gesperrt – den es nach kriminalistischen und strafprozessualen Grundsätzen gar nicht geben darf. Direktive im Wortlaut: „Nicht in die Ermittlungsakte oder Handakte aufnehmen.“

Wollten die Fahnder ihre Aufklärungsstatistik aufpolieren? Die Staatsanwaltschaft sah sich nach fünf Monaten Prozessdauer veranlasst, ein Ermittlungsverfahren gegen ihre Kripo-Fahnder wegen Aktenunterdrückung einzuleiten.

Mit seiner Biografie ist Johannes Mohns sicher das, was im normalen Sprachgebrauch ein „schwerer Junge“ genannt wird: Im August 1987 wird er wegen eines Geldbotenüberfalls in Oldenburg (Kreis Ostholstein) zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Bereits nach wenigen Wochen Haft gelingt ihm im November 1987 die Flucht aus dem Kieler Knast. Er seilt sich aus seiner Zelle mit einer Eisenstange und einem Bettlaken ab und taucht unter.

Während seiner Flucht kommt es am 19. Dezember 1988 zu einem spektakulären Raubüberfall: Zwei Männer überfallen im Lübecker Stadtteil Buntekuh zwei Geldboten, die gerade die Einnahmen des Einkaufszentrums abholen wollen. Es kommt zum Show-down: Die beiden Security-Männer blicken den beiden nicht maskierten bewaffneten Männern beim Überfall direkt ins Gesicht. Der 49-jährige Peter Komenda, der sich mit seiner Lebensgefährtin und der gemeinsamen vierjährigen Tochter beim Weihnachtsbaum-Einkauf bei Plaza befindet, wird Augenzeuge des Raubüberfalls. Er will Zivilcourage beweisen, versucht einen Täter aus dem Fluchtauto zu zerren. Es fällt ein Schuss, einer der beiden Männer hat aus seiner Waffe auf Peter Komenda geschossen und in Rücken und Wirbelsäule getroffen. Der 49-Jährige bricht schwer verletzt und gelähmt zusammen. Die Täter können trotz des Einsatzes von 40 Streifenwagen und 100 Polizisten mit 600.000 Mark Beute flüchten. Die Tatwaffe und das Projektil werden nie gefunden. Komenda stirbt wenige Wochen später in einer Spezialklinik in Hamburg.

Als der flüchtige Johannes Mohns verhaftet wird, fällt der Verdacht sofort auf ihn: Schließlich war er schon wegen eines Raubüberfalls in der Region verurteilt worden, auch ein Phantombild des Lübecker Todesschützen weist Ähnlichkeiten mit ihm auf. Allerdings identifizieren die Augenzeugen ihn bei Gegenüberstellungen nicht. Das Ermittlungsverfahren gegen Mohns wird eingestellt.

Trotz des auf ihm lastenden Verdachts zeichnet sich Mohns in der Haft nicht als Musterknabe aus: Erneut gelingt ihm die Flucht – diesmal aus dem Lübecker Gefängnis Lauerhof –, als er einen Justizbeamten überwältigt, fesselt und knebelt. Er wird erst nach einer Fernseh-Fahndung von Aktenzeichen XY ungelöst“ 1994 in Mönchengladbach verhaftet. Der gewaltsame Ausflug bringt ihm weitere vier Jahre wegen Gefängnismeuterei ein – und den Ruf des „Staatsfeinds Nr. 1“ bei den Nordlichtern. Er wird in die Haftanstalt im hessischen Schwalmstadt verschoben, wo er eigentlich im September 2005 in Freiheit entlassen werden sollte – wäre da nicht der Zeuge Günther R.

Der behauptet, vom Hörensagen aus gemeinsamen Knastzeiten zu wissen, wer an dem „Plaza-Coup“ beteiligt war. Er offenbarte sich 2003 der Lübecker Mordkommission unter der Maßgabe, Vergünstigungen zu erhalten. Doch die Verhöre verliefen offensichtlich für die Ermittler ohne das gewünschte Ergebnis – unausgegoren und widersprüchlich. Mehrmals musste R. vernommen werden, bis sich der vermeintliche Kronzeuge klar auf Johannes Mohns als Täter festlegte.

Diesen langen Weg dahin, der penibel in Protokollen festgehalten wurde, wollten die Kripofahnder offensichtlich geheim halten. Die Schriftstücke wurden nach Geheimdienstmanier mit dem erwähnten Stempel versehen, der noch den Zusatz trägt: „Hintergrundinformation – Vernichtung nach Auswertung“.

Der Staatsanwaltschaft Lübeck genügt zunächst das Extrakt der Akte – angeblich ohne Kenntnis der gesperrten Protokolle – um gegen den 52-jährigen Mohns Anklage wegen Mordes zu erheben. „Es zeigt, dass Mordfälle von der Kripo immer wieder neu aufgegriffen werden,“ tönte Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz im vorigen Herbst gegenüber den Lübecker Nachrichten. „Im Licht der neuen und alten Aussagen besteht hinreichender Tatverdacht – eine Verurteilung ist zu erwarten.“

Inzwischen herrscht aber auch bei den beiden Anklägerinnen im Verfahren Skepsis über die Lübecker Polizeiarbeit. So gibt die Kripo zu, es „versäumt“ zu haben, gewisse Protokolle anonymisiert der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Für Mohns Verteidiger, Johannes Santen und Uwe Maeffert aus Hamburg, ein einzigartiger Vorgang. „Das Unglaublichste“, schimpft Maeffert gegenüber der taz: „Für eigenes kriminelles Tun hat die Lübecker Polizei sogar einen Stempel!“

Auch das Lübecker Landgericht reagiert mittlerweile einigermaßen genervt auf die Merkwürdigkeiten. So veranlasste es nun gegen den polizeilichen Widerstand die Vernehmung der zuständigen Ermittler. Offenbar soll einem der Kripobeamten die Verantwortung zugeschoben werden: Er habe die anonyme Zusammenfassung für die Staatsanwaltschaft nicht verfasst, weil er zuvor in Pension gegangen war. Ein anderer Fahnder möchte nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden, denn er müsse als „V-Mann-Führer“ geschützt werden. So genannte V-Männer bewegen sich im kriminellen Milieu und sind als von der Polizei bezahlte Spitzel tätig – und begehen unter Umständen auch selbst Straftaten. Rechtsanwalt Santen findet das Verlangen nach Diskretion „unglaublich“: Nach Aktenlage sei der Zeuge „niemals V-Mann“ gewesen.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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