wer pfeift?: Die Männer in schwarz
Dietrich zur Nedden und Michael Quasthoff leuchten in ihrem Buch „Pfeifen! Vom Wesen des Fußballschiedsrichters“ die Existenz eines machtvollen Einzelgängers aus
Es sind die Geschichten, die zählen, auch im Schiedsrichterwesen. Diese zum Beispiel: „1975 schiedste der Westfale Wolf-Dieter Ahlenfelder Werder Bremen gegen Hannover 96. Das Wetter war schön, die Partie ein müder Kick. Die Zuschauer wären eingeschlafen, hätte nicht Ahlenfelder für ein wenig Abwechslung gesorgt. Sichtbar angetrunken bellte er Hannovers Trainer Fiffi Kronsbein an, ermahnte eine Eckfahne, trabte sinnlos gestikulierend über den Platz und pöbelte auf am Boden liegende Spieler ein. Als das Spiel nicht besser wurde, pfiff er die erste Halbzeit einfach ab – 15 Minuten zu früh. Werder-Präsident Franz Böhmert kommentierte: ‚Für die Show hätte man die Eintrittspreise erhöhen müssen.‘ Seitdem bestellt man in Werders Vereinskneipe keinen Schnaps mehr, sondern einen ‚Ahrenfelder‘.“
Sowas will man wissen. Gerade auch deswegen, weil beim Schiedsrichter die Fallhöhe so groß ist: Da ist die Autoritätsperson, gekleidet in richterlichem schwarz und ausgestattet mit nahezu uneingeschränkten Rechten. Jemand, der wie der Westerner Gesetz und Ordnung bringt und dabei ganz auf sich alleine gestellt ist. Der letzte „bürgerliche Held“ könnte er sein, schreiben die beiden Hannoveraner Autoren Dietrich zur Nedden und Michael Quasthoff. Und zitieren aus dem Buch „Western-Kino“ von Georg Seeßlen und Claudius Weil: „Er ist ein Mensch, dem oft Übermenschliches aufgegeben ist. Zugleich ist er aber auch ein normaler Mensch, jemand, der lebt wie die anderen, nur gefährlicher und glanzvoller.“
„Pfeifen! Vom Wesen des Schiedsrichters“ heißt das Buch von zur Nedden und Quasthoff, in dem sie in insgesamt 34 Kapiteln Schicksal, Chance und Alltag des Schiedsrichters ausleuchten. Dabei ist jedes Kapitel in sich abgeschlossen und die Textsorten wechseln sich kurzweilig ab: Mal ist es die Reportage vom Schiedsrichter-Aufbaulehrgang in der Sportschule Barsinghausen, mal der historische Exkurs zur ersten aktenkundlichen Erwähnung des Referees im Jahr 1849, mal die Abhandlung zum Stand der Debatte um den Videobeweis. Oder die Dokumentation eines Artikels aus dem Online-Magazin www.proBAYERN.de, der nachweist, warum die Bayern mit Schiedsrichter-Skandalen nichts zu tun haben kann. Oder der Essay zur Magie der Zahl 23, die so wichtig für den Fußball ist, weil immer erst 23 Mann auf dem Feld das Spiel komplett machen.
Was die einzelnen Beiträge zusammenhält, das sind der feuilletonistische Ton und die Geschichten. Zur Nedden und Quasthoff, beide tätig als freie Autoren unter anderem für die taz, hangeln sich nicht an einem roten Faden entlang, statt dessen lassen sie Information und subjektiven Blick, Fakten und Schoten nebeneinander existieren. Das macht „Pfeifen!“ zum echten Lesestoff und passt gut zu einem Wesen wie dem Schiedsrichter. Der nämlich fällt „Tatsachenentscheidungen“ und hat gleichzeitig „Ermessenspielraum“. Ein bisschen paradox. Und immer gut für Geschichten. Klaus Irler
Dietrich zur Nedden, Michael Quasthoff: „Pfeifen! Vom Wesen des Fußballschiedsrichters“. Zu Klampen Verlag, 176 Seiten
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