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Der Charme der leeren Mitte

Das Stadtschloss bleibt Illusion

VON DIRK KNIPPHALS

Dort, wo einst das Stadtschloss der Hohenzollern stand, kann man jetzt in die Wolken gucken. Oder man kann sich mit einer Flasche Rosé auf den Rasen setzen. Die Wiese in der leeren Mitte Berlins ist ein prima Ort. Sonnenuntergänge machen sich toll inmitten der atemberaubenden Geschichtskulisse vom Alten Museum bis zum Fernsehturm, vom Dom bis zur DDR-Edelplatte. Sonnenaufgänge auch. Und überhaupt hat sich die Realität dieses Platzes – kurzer Rasen, ein paar Holzplanken, sonst nichts – bestens behauptet gegen alle Fantasien, die mit ihm verbunden wurden.

Was wurde nicht alles an schwerem diskursiven Geschütz aufgefahren, um das Schloss zu begründen! Sinnstiftung! Orientierung! Dass man mit auf alt gemachten Fassaden gesellschaftliche Werte neu begründen könne, haben viele konservative Menschen behauptet – nur wussten sie nicht, womit sie diese Fassaden füllen sollten. Auch nicht so konservative Menschen behaupten immer wieder, dass eine Gesellschaft eine Mitte braucht. Mag ja auch sein. Was die Mitte ist, muss immer neu ausgehandelt werden – in Talkshows, in den Medien, in den Selbstentwürfen der einzelnen Menschen. Aber die Vorstellung, eine moderne Gesellschaft könnte eine reale Mitte haben, ist ungefähr so unsinnig wie die Idee, man könnte gesellschaftliche Werte in Flaschen kaufen.

Überholte Fantasien

Solche Fantasien sind nicht zeitgemäß. Die leere Mitte aber ist es. Am schönsten wäre es, man könnte diese Wiese mitten in Berlins genau so lassen, wie sie heute ist, auch über 2014 hinaus. Wer das Humboldt-Forum haben will, findet auch einen anderen Ort dafür. Und alle anderen können sich vom Charme der leeren Mitte einfangen lassen.

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