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Staub und Stimmung im virtuellen Stadion

Am vergangenen Freitag wurde das „FIFA-Fanfest“ auf dem Heiligengeistfeld eröffnet. 60.000 Zuschauer bejubelten im „Fan-Stadion“ das erste Spiel der WM. Wer etwas sehen wollte, musste Körpereinsatz zeigen.

Peter Mix sitzt im deutschen Pavillon und blickt zum Bildschirm. Gleich geht es los: Deutschland gegen Costa Rica. Mit vier Freunden ist er aus Dänemark angereist, um das Eröffnungsspiel der WM im Gastgeberland zu sehen. Nicht im Stadion in München, sondern auf dem „FIFA-Fanfest“ in Hamburg, einer Art virtuellem Stadion auf dem Heiligengeistfeld. Sein Tipp: 3:0. „Irgendwie sind wir doch alle aus dem Norden“, meint Mix und nippt am Bier. Fußball verbindet eben. Wenn das eigene Team nicht mitspielt.

Sogar mit den Schweden sympathisieren die Dänen bei dieser WM. In deren Pavillon gibt es aber keinen Fernseher, und so sieht er das Spiel im Deutschen Pavillon auf 75 Zentimetern Bilddiagonale. „Da drüben ist uns zu viel los“, erklärt Mix.

„Da drüben“, das ist das „Fan-Stadion“: Drei mobile Tribünen und der Platz in ihrer Mitte. Bei Anpfiff ist alles rappelvoll. 60.000 Zuschauern stehen vor der 80-Quadratmeter-Leinwand und wirken, als wären sie zu einem einzigen Organismus zusammengewachsen. Nur vereinzelt tröpfeln kleine menschliche Rinnsale durch das schwarz-rot-goldene Mosaik. Eine nicht endende Polonaise aus Durstigen und ehemals Durstigen bahnt sich ihren Weg. Destination: Zapfhahn und/oder WC.

Als Philipp Lahm den Ball zum 1:0 ins Netz zaubert, dürfen die Gefühle endlich raus und ein Konzert aus Jubel und Tröten schwillt an. „Das ist Stadionatmosphäre“, erzählt Jörg Schwichter, der beim Anpfiff mitten drin stand. Allerdings: „Wenn ein Tor gefallen ist, konntest du kaum atmen“, warnt er. Die plötzliche Hitze hatte das Heiligengeistfeld so ausgetrocknet, dass die tobenden Fans schnell große Staubwolken aufwirbelten. Aber Fußball macht leidensfähig. Wenn das eigene Team spielt.

Jetzt sitzt Schwichter im englischen Pavillon auf dem „Boulevard der Nationen“, wo alle 32 Teilnehmerländer mit je einem Zelt vertreten sind, und benetzt die trockene Kehle mit Cider. Für 3,50 Euro. Ein Fest für die Kassen ist es jetzt schon, denn am Eingang zum Gelände werden den Fans sogar Plastikflaschen mit Wasser abgenommen. „Wenn man hier draußen wenigstens das Spiel verfolgen könnte“, ärgert sich Schwichter. Er vermisst ein paar kleine Leinwände auf dem Gelände. „Gerade die kleinen Leute können da drin fast nix sehen.“ Wiederkommen will der 1,90-Mann aber auf jeden Fall: „Die Stimmung ist super.“

Das findet auch Elisabeth Kalix, die beim 1:1 in der zwölften Minute die Arme hochreißt, während alle anderen nach unten sinken. Die gebürtige Costaricanerin lebt seit 22 Jahren in Hamburg. Nach dem Ausgleich wachsen ihre Erwartungen, ihr Tipp jetzt: 1:3. Fußball verleitet eben auch zum Träumen. Wenn das eigene Team mitspielt.

Dafür haben Steve Ward und Steve Lane keine Zeit. Die Engländer konzentrieren sich auf das Spiel: Klose macht noch zwei rein, aber auch Costa Ricas Wanchope trifft ein zweites Mal. Endstand 4:2. Ward und Lane freuen sich für das deutsche Team. „Nur beim Finale, da sollen sie knapp verlieren – gegen England“, lacht Lane. Fußball verleitet eben doch zum Träumen. Wenn es um das eigene Team geht.

Nach dem Spiel löst sich die Menschentraube vor der Leinwand langsam über die vollgesperrte Budapester Straße in Richtung Kiez auf. Sebastian Denda und Marko Döscher aus Hamburg bleiben noch ein bisschen. Sie sind zufrieden mit der deutschen Elf und der Trubel auf dem Fanfest gefällt ihnen auch gut. „Man weiß gar nicht, ob man die Leute hier auf Deutsch oder Englisch ansprechen soll“, meint Denda. Und verschwindet zu einer kleinen „Weltreise“ über den „Boulevard der Nationen“. Fußball verbindet eben Menschen. Wenn man gewonnen hat.MATTHIAS BECKER

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