spielplätze (3): „Grrrossooooo!“
Alle gucken Fußball. Die taz auch. Bis zum Ende der WM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Italien – Ghana im Café Moskau
Zum einen geht es um die wundersame Wandlung des Felix Ney. Der 33-Jährige ist ein schmaler Typ mit hoher Stirn, Hornbrille und Mecki-Frisur, der – wenn man mit ihm unter vier Augen redet – so unauffällig spricht, wie er aussieht. Doch dann greift sich Ney das Mikrofon und brüllt: „Grrrooossssssoooooo aus der Mafiahochburg, der Schönling mit einer schönen Flanke!“ So brummt, schnalzt und schreit sich Ney durch die eigentlich unauffällige Partie Italien – Ghana (2:0). Sie gewinnt durch den Kommentar beträchtlich, womit das Konzept des Weltmeister-Studios Mitte beschrieben wäre.
Es ist dabei ein bemerkenswerter Vorgang, dass es die lose Gruppe aus Studenten, Künstlern und Fußballfanatikern zur WM bis ins Café Moskau geschafft hat. Bisher konnte man ihrem Live-Kommentar zu Fußballspielen in kleinen Klubs lauschen, zum Beispiel bei der letzten Europameisterschaft. Die Fifa verbot ihnen inzwischen den Kurznamen WM-Studio Mitte, dafür betreten sie mit der Mischung aus Anekdoten, albernen Wortwitzen und Expertenwissen eine weit größere Bühne. Und da kommt die wundersame Wandlung des Café Moskau ins Spiel.
Ein großer Sportartikelhersteller hat das einstige DDR-Nobelrestaurant nämlich zu seinem, nun ja, Hauptquartier gemacht. Falsche Scham kannte er dabei nicht. Überall prangt das Logo, ein drei Meter hoher Fußball mit Werbeaufdruck macht sich auf der Tribüne vor der Großleinwand breit, der nette Pressemensch führt über rasengrüne Teppiche, eigens verlegt, vorbei an bulligen Sicherheitsleuten. Er erklärt, wie toll individuell es ist, dass man sein T-Shirt mit vorgefertigten Motiven bekleben lassen kann. Er betont den „Charity Anteil“, was bedeutet, das 7 Euro des 27,50 teuren T-Shirts in Hilfsprojekte in Afrika fließen. Er zeigt die Großleinwand, vor die sie viele grüne Holzschnitzel gekippt haben.
Auf denen fläzen sich die Zuschauer, nicht mehr als 50, die meisten Mitte zwanzig. Das Haar tragen sie verwuschelt, sie trinken Bier mit Limettengeschmack und sind eher für Ghana. Die Jungs vom Weltmeister-Studio haben sich mit ihrem Geldgeber arrangiert. „In den Fußball-Teil redet uns ja niemand rein. Hier drin ziehen wir unser Ding durch“, sagt Mitorganisator Stephen Müller. Im Fußball gibt es eben ein richtiges Leben im falschen. Oder: Wichtig is auffer Leinwand. Ulrich Schulte
Café Moskau, Karl-Marx-Allee 34. Alle Spiele werden gezeigt. Blöd: jede Menge Markenpropaganda, stickige Luft, teures Bier (3 €). Toll: Eintritt frei, Umsonst-Kickertische, günstiges „Food“ (Chili con Carne 3,50 €)
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