: U-Bahnhöfe warten auf ein Lifting
Pankows Grüne schleppten gestern Kinderwagen die Treppen zum U-Bahnhof Eberswalder Straße hoch – aus Protest gegen fehlende Fahrstühle. Tatsächlich ist erst jede dritte Station der BVG barrierefrei. Und das wird sich nur sehr langsam ändern
VON SEBASTIAN LEHMANN
„Aufzug her!“, hängt in grünen Lettern am U-Bahnhof Eberswalder Straße. Solange der Fahrstuhl fehlt, müssen Andreas Otto, Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow, und seine Parteifreunde schleppen. Das Grüppchen der Bezirkspolitiker sorgte gestern Vormittag dafür, dass die Eberswalder Straße keine No-go-Area für Kinderwagen und Rollstühle ist, und hievten die Gefährte bei drückender Hitze die Treppen zum Bahnsteig hoch. Mit der Aktion wollten sie darauf aufmerksam machen, wie schwierig es für mobilitätseingeschränkte Menschen immer noch ist, mit U- oder S-Bahn durch die Stadt zu kommen.
Den Bahnhof Eberswalder Straße hatten sich die Grünen nicht umsonst für ihre Protestaktion ausgesucht. Schließlich ist der Prenzlauer Berg für seine hohe Kinderwagendichte berüchtigt. Am U-Bahnhof steigen täglich 20.000 bis 30.000 Menschen aus oder ein, darunter viele, die nicht ohne Hilfe eine Treppen erklimmen können. Dass gestern auffallend wenige Eltern mit Kinderwagen den Service der Grünen nutzten, wunderte Stefanie Remmlinger, Kreisvorsitzende in Pankow, nicht: „Wer Probleme beim Treppensteigen hat, fährt so einen Bahnhof natürlich gar nicht erst an.“
Auch an den Bahnhöfen Senefelderplatz und Vinetastraße gibt es für Kinderwagenschieber keine Möglichkeit, ihr Gefährt ohne Hilfe auf den Bahnsteig zu befördern. Was das für Rollstuhlfahrer bedeutet, ist klar – die Stationen sind für sie unbenutzbar. Der U-Bahnhof Senefelderplatz wurde sogar jüngst saniert, ein Aufzug aber trotzdem nicht eingebaut.
Nur 64 von insgesamt 170 U-Bahnhöfen sind bis jetzt „barrierefrei“, also entweder mit einem Aufzug oder einer Rampe ausgerüstet. Für Andreas Otto von den Grünen ist dieser Zustand unhaltbar: „15 Jahre nach der Wiedervereinigung schafft es die BVG immer noch nicht, Aufzüge in alle Bahnhöfe einzubauen.“ Seine Parteikollegin Claudia Hämmerling, verkehrspolitische Sprecherin im Abgeordnetenhaus, wird noch konkreter: Sie fordert den Bau von mindestens 20 Aufzügen pro Jahr in U-Bahn-Stationen. Bis jetzt sind es im Schnitt etwa 5. Das Geld für die Fahrstühle will Hämmerling beim Straßenbau einsparen.
Petra Reetz, Pressesprecherin der BVG, gibt zu, dass noch viel zu tun ist: „Perfekt ist es auf keinen Fall.“ Beim Neubau eines Bahnhofs werde grundsätzlich ein Fahrstuhl eingeplant, bei der Renovierung alter Bahnhöfe verursache ein Einbau aber erhebliche Kosten. Gerade beim Senefelderplatz sei das „bautechnisch nicht einfach zu lösen“ und zudem sehr teuer: Zwischen 700.000 und 1,5 Millionen Euro kann so ein Einbau kosten – für das klamme Land Berlin, das den Umbau finanzieren muss, ein echtes Problem. Lediglich 2,5 Millionen Euro kann die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in diesem Jahr dafür ausgeben, 2007 wird diese Zahl wenigstens verdoppelt. Hinzu kommen die Mittel, die für die Grundinstandsetzung der Bahnhöfe vorgesehen sind.
Um das Fernziel der kompletten Barrierefreiheit zu erreichen, führt die BVG zusammen mit dem Senat, der S-Bahn und Behindertenverbänden eine Prioritätenliste. Darauf werden die Bahnhöfe und deren Umbau nach Kriterien wie Umsteigemöglichkeiten oder Bautechnik eingestuft. Für dieses Jahr war zum Beispiel der U-Bahnhof Olympia-Stadion für den Umbau vorgesehen – aus nahe liegenden Gründen. An der Eberswalder Straße soll erst im Jahr 2008 mit dem Einbau eines Aufzugs begonnen werden.
Das es auch anders geht, zeigt die S-Bahn. Immerhin 103 von 130 ihrer Bahnhöfe sind auch für Behinderte benutzbar. Pressesprecher Gisbert Gahler spricht im Hinblick auf diese Zahlen von einem „einmaligen Zustand in Deutschland“. Man habe rechtzeitig nach der Wende mit dem Umbau der Bahnhöfe begonnen.
Die Möglichkeit für Rollstuhlfahrer, stets von A nach B zu kommen, besteht auch im U-Bahn-Netz schon jetzt. Meistens allerdings nicht auf dem direkten Weg. Derzeit wird auch an der Umstellung des Internetangebots der BVG gearbeitet. In den Fahrempfehlungen soll dann auch einbezogen werden, an welchen Bahnhöfen es zu Problemen für Behinderte kommt.
Ute Schnur bringt das wenig. Die grüne BVV-Abgeordnete sitzt im Rollstuhl und war gestern auch an der Eberswalder Straße dabei. Sie muss teilweise große Umwege in Kauf nehmen, wenn sie mit der U-Bahn unterwegs ist. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt zu fahren sei generell schon möglich, sagt Schnur, „aber es ist doch immer wieder ein Abenteuer“.
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