: Haftung nur als Ausnahme
Agrarminister Horst Seehofer hat offenbar weitreichende Zugeständnisse gemacht, um den Anbau genveränderter Pflanzen zu fördern. Es soll keine Versicherungen gegen Genschäden geben, auch ein Haftungsfonds der Industrie ist vom Tisch
VON WOLFGANG LÖHR
Agrarminister Horst Seehofer (CSU) will die Haftungsregelungen für Gentech-Anbauer entschärfen. Das sagte er laut Handelsblatt Vertretern von Biotech-Firmen und der Saatgutindustrie bei einem Treffen in dieser Woche zu.
Die strengen Haftungsregelungen waren noch von der rot-grünen Bundesregierung eingeführt worden. Sie werden nun abgeschwächt: Künftig soll es weniger Fälle geben, in denen ein mit Gentech arbeitender Landwirt an seinen gentechfrei produzierenden Nachbarn Schadenersatz zahlen muss. Seehofer will offenbar auch davon absehen, eine Versicherungspflicht gegen unerwünschte Genkontaminationen einzuführen. Ebenfalls vom Tisch ist ein von der Saatgutindustrie finanzierter Haftungsfonds.
„Das ist eine komplette Niederlage für Seehofer“, kritisiert Henning Strodthoff von Greenpeace das Einlenken des Agrarministers. Besonders erzürnt den Gentech-Experten, dass die Saatgutindustrie nicht bereit sei, die Verantwortung für ihre eigenen Genkonstrukte zu übernehmen. „Wenn die Gentech-Pflanzen wirklich so sicher sind, wie die Saatgutindustrie immer behauptet, dann muss sie auch das Haftungsrisiko übernehmen“, sagt Strodthoff. Stattdessen werde das Risiko den Landwirten zugeschoben.
Das Agrarministerium lehnte es gestern ab, mögliche Zugeständnisse Seehofers an die Saatgutindustrie zu kommentieren. Dort hieß es lediglich: „Die Gespräche auf Seiten der Wirtschaft und auf der politischen Ebene laufen noch.“
Laut Handelsblatt, das sich auf Insider aus der Saatgutbranche beruft, soll Seehofer jedoch vorhaben, für die Haftungsregelungen einen Schwellenwert einzuführen. Bisher muss immer dann Schadenersatz gezahlt werden, wenn die Ernte eines konventionell arbeitenden Bauern von genveränderten Pollen eines Nachbarn beeinträchtigt wird. In diesem Fall kann die Ernte nur zu einem geringeren Preis verkauft werden. Künftig soll die Entschädigung nur fällig werden, wenn mindestens 0,9 Prozent der Ernte ungewollt genmodifiziert sind. Produkte mit diesem Anteil müssen schon heute als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Die Lieferverträge vieler Landwirte schreiben derzeit sogar sehr viel geringere Werte vor, um Produkte in den Handel zu bringen.
„Viele Verarbeiter von landwirtschaftlichen Produkten wollen auf jeden Fall eine Gentech-Kennzeichnung vermeiden, weil sie sonst auf ihren Waren sitzen bleiben“, erklärt die Gentech-Expertin Heike Moldenhauer vom BUND. „Sie nehmen deshalb die Ernte auch nur dann ab, wenn sie weit unter dem Kennzeichnungswert verunreinigt ist.“
Diese „offene Liste“ für Gentech-Schäden in den Haftungsregelungen will Seehofer wieder abschaffen. Ab welchem Anteil in Zukunft die Kennzeichnungspflicht besteht, ist noch nicht geklärt. „Die gentechfrei produzierenden Landwirte werden aber größere Schwierigkeiten bekommen, ihre Ernte loszuwerden“, ist sich Moldenhauer sicher.
Die gleichen Befürchtungen äußert auch der Greenpeace-Mitarbeiter Strodthoff. „Das EU-Recht sieht ausdrücklich vor“, so Strodthoff, dass die Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen dürfen, um gentechnische Auskreuzungen und Verunreinigungen zu verhindern.“ Seehofer jedoch wolle die Verunreinigungen nur begrenzen. „Er bereitet damit den Verbraucher auf eine schleichende Einführung von Gentech-Produkten vor“, sagt Strodthof.
Dass es auch anders geht, zeigt das österreichische Bundesland Steiermark. „Dort wurde festgelegt“, so Strodthoff, „dass Gentech-Pflanzen nur dann angebaut werden dürfen, wenn der betreffende Landwirt seinen Nachbarn zusichern kann, dass die von seinem Feld ausgehenden Verunreinigungen durch Pollenflug nicht größer als 0,1 Prozent sein werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen