piwik no script img

SPIELPLÄTZE (11)Mit Flips und Chips bei den Wilmersdorfer Witwen

FUSSBALLGUCKEN Argentinien gegen Griechenland im Eis-Korso am Rüdesheimer Platz

Spielplatztest

Ort: Eis-Korso am Rüdesheimer Platz, Wilmersdorf.

Sicht: Wunderbar. Eine Leinwand, zwei Fernseher, unterschiedliche Blickwinkel.

Kompetenz: Geballt. Auch in der Halbzeitpause nur Fachgespräche.

Nationalismus: Nicht erkennbar. Sport steht im Vordergrund.

Wurst: Thüringer Rostbratwurst im Brötchen für 2 Euro. Die Kugel Eis kostet 80 Cent.

Jetzt also auch der Eis-Korso. Nicht nur mein Friseur, mein Fitnessstudio und mein Sushiladen, auch Eis-Korso am Rüdesheimer Platz bietet seit Kurzem öffentliches Fußballfernsehen an. Für alle taz-LeserInnen, die nicht im Berliner Südwesten beheimatet sind: Am Rüdesheimer Platz wohnen die Wilmersdorfer Witwen, jedenfalls dem Klischee zufolge. Das stimmt nur bedingt, die Witwen wohnen nämlich eher in den Mietskasernenbauten der Seitenstraßen. Am Platz selbst residieren in der Mehrzahl betagte Professoren und Ärzte, die Mieten sind entsprechend.

Das Café Eis-Korso ist seit je der zentrale Treffpunkt aller Wilmersdorfer Witwen. Vormittags wie nachmittags sitzen sie hinter den schweren Vorhängen, trinken Kaffee aus Kännchen und essen Blechstreuselkuchen oder Eisbecher mit Früchten. „Man kennt sich“, sagt Inhaber Ansgar Preitz. „Bei uns zählt das Familiäre.“

Das gilt auch fürs Fußballgucken. Zwischen Café und Bürgersteig ist eine Großbildleinwand installiert, ein paar Bier- und Cafétische stehen davor. Im Schaufenster stehen ein Flachbildschirmfernseher und daneben ein kleinerer Fernseher. Sechs Leute sitzen im spitzen Winkel zur Fernsehfront, um die Partie Griechenland – Argentinien (Flachbildschirm) beziehungsweise Nigeria – Südkorea (kleiner Fernseher) zu verfolgen.

Am Rand steht ein junger Mann hinter einem Grill und bietet Vorbeiflanierenden und Stehenbleibenden persönlich eine Bratwurst an, wahlweise im Körnerbrötchen. Die Bedienung bringt Flips und Salzstängchen auf Papptellern an den Tisch; jeden, der vorbeikommt oder sich kurz zum Fernsehschauen hinsetzt, begrüßt sie mit Vornamen.

Die zwei Männer am ersten Tisch bestellen in der Halbzeitpause je ein zweites Bier, die zwei Frauen daneben diskutieren mögliche Spielkombinationen im Achtelfinale. Sie sind Fußballguck-Profis: Gespannt und ruhig verfolgen die Frauen auf den Schaufenster-Bildschirmen beide Partien gleichzeitig, kurze Analyse der torgefährlichen Situationen, dann wieder ruhiges Hinschauen.

„Man kennt sich“, sagt Inhaber Ansgar Preitz. „Bei uns zählt das Familiäre“

„Sonst ist mehr los“, versichert Preitz. „Na ja, die Leute müssen ja arbeiten.“ Am Mittwochabend wollte er trotzdem die Außenterrasse bis zum Bürgersteigrand erweitern. Er habe schon einige Reservierungen, sagt er. Der Eis-Korso-Chef hofft, dass sich die drei Bildschirme und die längeren Öffnungszeiten dann einmal rechnen. Mit Stammgästen wie dem Mann mittleren Alters, der sich kurz vor Spielende an einem der Tische niederlässt, würde er auf Dauer trotzdem nicht reich: „Einmal ein Glas Wasser, Leitungswasser tut es auch“, bestellt er. Die Bedienung bringt’s und klopft ihm auf die Schulter. „War wohl ein bisschen viel gestern, oder?“, sagt sie. Der Gast grunzt zustimmend. KRISTINA PEZZEI

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen