: Standort Stadtrand
Zu seinem 60. Jubiläum meldet sich das Haus am Waldsee mit der Ausstellung „Anstoß Berlin“ in der internationalen Kunstszene zurück
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Ob Simon Faithfull mit seinem Fahrrad jemals bis Zehlendorf gekommen ist? Der junge britische Künstler, der seit einem Jahr neben London auch in Berlin lebt, übersetzt seine mit dem Fahrrad absolvierten Stadterkundungen in eine Art zeichnerisches Tagebuch. Handtellergroße Skizzen zeichnet er in den Palmpilot, zum Beispiel von einer Umrundung des Fernsehturms. Für die Ausstellung „Anstoß Berlin“ ist daraus eine große Wandarbeit entstanden: jedes Pixel ein spiegelndes Zentimeterquadrat, wie von den Lichtblitzen einer Discokugel an die Wand geworfen. Schick, fast elegant sieht das aus, der Fernsehturm hinter der Fassade des Palastes der Republik – eine nicht mehr lang zu genießende Ansicht, die viel vom Mythos Berlin zusammenbringt: die Partyszene, die Entdeckung des Ostens, das Fußgänger- und Fahrradfreundliche einer Großstadt, in der es sich noch immer etwas billiger lebt als an anderen Hotspots der Welt.
„Anstoß Berlin“, die Ausstellung, mit der das Haus am Waldsee sein 60-jähriges Jubiläum als Ort der Kunst feiert, gleicht zur Zeit einem Raumschiff. Sechzig international bekannte Künstler aus Berlin hat es an Bord. Das Raumschiff hätte auch weiterfliegen und den noch frischen Ruhm der Kunststadt Berlin nach Barcelona oder Miami transportieren können – allein, es ist kurz nach dem Start in Zehlendorf niedergegangen, mitten in einer grünen Villenidylle. Das scheint erst mal verwunderlich.
Viele Künstler sind an Bord, die beim Preis für junge Kunst der Nationalgalerie mitgemacht haben: Manfred Pernice, Monica Bonvicini, Olafur Eliasson, Angela Bulloch, Anri Sala und Kathrina Grosse. Der gastfreundliche Rirkrit Tiravanija, der kaum noch zählbare Eröffnungen bekocht hat, ist mit einem verspiegelten Küchenschrank dabei. Andere, wie etwa Takehito Koganezawa oder Tacita Dean, kamen über den DAAD nach Berlin. Jonathan Meese, Eberhard Havekost und Norbert Bisky haben ihre Auftritte mit Gemälden.
Mit Via Lewandowsky und Thomas Florschütz ist auch die erste Generation vertreten, mit der das wiedervereinigte Berlin punktete. Und Marcel von Eden sah man gerade auf der Biennale. „Aber noch nie“, sagt Katja Blomberg, „wurde die Geschichte der Künstler, die nach Berlin kamen und mit ihrem internationalen Erfolg zum Ruf der Stadt beigetragen haben, so gebündelt erzählt und dargestellt.“ Für die Kuratorin, die seit anderthalb Jahren das Haus am Waldsee leitet, ist die Ausstellung ein doppeltes Gruppenbild: Sie präsentiert nicht nur die Global Player der Berliner Kunst, sondern auch ihr zukünftiges Programm – mit vielen Beteiligten plant Blomberg weiter zu arbeiten.
Eine solche Name-Dropping-Show wäre unanständig parvenühaft, käme sie von offizieller Seite – die Stadt hat ja nicht eben viel für die Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten der Künstler hier getan. Doch ein Haus am Stadtrand, das sich ins internationale Geschehen wirft – da bekommt die Sache gleich einen milderen Geschmack. Für das Haus am Waldsee ist „Anstoß Berlin“ das größte Projekt seit Jahren. Das ehemals kommunale Kunsthaus, in dem nach 1946 mit Picasso, Henry Moore und Juan Miró die internationale Moderne zu Gast war, hat schwierige Zeiten hinter sich, in denen der Fortbestand als Ausstellungsort nicht gesichert war. Vor zwei Jahren übernahm ein Förderverein die Trägerschaft vom Bezirk, der zwar bis 2009 noch 2,5 Stellen bezahlt, aber nichts fürs Programm übrig hat. Die Gelder für „Anstoß Berlin“ kommen vom Hauptstadtkulturfonds. Die Ausstellung soll wie eine Visitenkarte funktionieren, um auch in Zukunft mit der Unterstützung von Spendern und Sponsoren weitermachen zu können. Motto: Mit diesen Künstlern kann man sich sehen lassen
Und die lassen sich nicht lumpen und zeigen nicht einfach nur, was man eh von ihnen kennt. Die Skulptur aus zwei ineinander verkeilten Gartenhütten, die Via Lewandowski vor dem Haus bauen ließ, kommentiert den Ort ebenso wie den Anlass: Denn man kann daran nicht nur ablesen, wie der individuelle Drang ins Grüne gleich immer ins Gehege des Nächsten gerät, sondern auch, wie ein Stoß gestaltende, umstürzende Kräfte entfaltet. Hinter dem Haus hat Olafur Eliasson ein Kaleidoskop in die Erde eingelassen. Beim Blick in die Tiefe sieht man eine Kugel, die sich aus den rot glühenden Spiegelungen einer Lampe zusammensetzt: als ob eine kleine Welt neu geboren würde.
Daneben schreibt Jonathan Monk „to infinity and beyond“ mit einem Laserstrahl in den Himmel, was „ein wenig mit unserem Größenwahn spielt“, wie Katja Blomberg anmerkt. Der Drang ins Erhabene wird sogleich konterkariert von zwei weiteren Arbeiten im Garten: In einem Baumhaus von Björn Melhus flackert ein Fernseher, als ob ein eben in die Einsamkeit Entflohener es dann doch keine Sekunde mit sich selbst aushalten würde. Und nicht weit entfernt hockt Ann-Sofi Sidéns Selbstportrait als skulpturaler Abguss beim Pinkeln im Gras.
Auf den ersten Blick verbindet die Künstler nicht mehr als ihr Wohnort. Aber in einzelnen Räumen beginnen sie doch, miteinander zu sprechen: über das Verhältnis der Kunst zum Geld, über Handelswege und Landschaftsmotive. Beinahe zufällig geschieht das. So wird aus der Leistungsschau eine spannende Ausstellung, in der sich der Eigensinn der Werke entfaltet.
„Anstoß Berlin“, bis 17. 9., Mo–Do 10–18 Uhr, Fr–So 12–20 Uhr, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30
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