piwik no script img

In eure Schule geh‘n wir nicht

„Das wollen wir unseren Kindern nicht zumuten“: Unter Berufung auf ihren christlichen Glauben weigert sich eine Hamburger Familie seit inzwischen fünf Jahren, ihre Kinder der Schulpflicht nachkommen zu lassen. Die Behörden sind machtlos

Von ELKE SPANNER

Familie R. lebt in einem kleinen Reihenhaus im Hamburger Stadtteil Othmarschen. Was sie von ihren Nachbarn und überhaupt anderen Familien unterscheidet? Familie R. gelingt der perfekte Widerstand gegen den Staat. Was immer die zuständige Schulbehörde auch versucht: Seit inzwischen fünf Jahren gelingt es ihr nicht, die drei schulpflichtigen Töchter der Familie R. zum Unterricht zu bekommen. Gerade hat das Hamburger Verwaltungsgericht angeordnet, Vater André R. deswegen in Erzwingungshaft zu nehmen – zum wiederholten Male.

Auf die Frage, ob R. denn nun tatsächlich ins Gefängnis muss, mischt sich Ungeduld in die Stimme von Alexander Luckow, Sprecher der Hamburger Bildungsbehörde. Dass dies vorerst nicht geschehen wird, ist klar: Die Einspruchsfrist gegen die Erzwingungshaft läuft bis zum 3. Juli – zwei Tage später ist das Schuljahr ohnehin vorbei.

Die Geschichte begann damit, dass die Eltern Frauke und André R. im Juni 2001 ihre beiden ältesten Töchter von einer freien christlichen Bekenntnisschule abmeldeten, die die Mädchen bis dahin besucht hatten. Das Ehepaar R. berief sich auf die Bibel – und darauf, seine Kinder von schädlichen Einflüssen fern halten zu wollen. Die Mädchen hätten Gewalt auf dem Schulhof erleben müssen, klagte der Vater, außerdem seien sie in der Schule der Gesellschaft von „Scheidungskindern“ ausgesetzt. „Das wollen wir unseren Kindern nicht zumuten.“

Als die Schulbehörde von der Abmeldung erfuhr, schickte sie zunächst die Kollegen vom Jugendamt los. Die besuchten die Familie in ihrem Reihenhaus, um zu prüfen, ob den Eltern nicht besser das Sorgerecht für die Kinder entzogen werden soll. Das Ergebnis: nein. Es war offenkundig, dass die Eltern bei aller Verbohrtheit aus Liebe handelten, und den Kindern ging es gut.

Inzwischen haben Frauke und André R. fünf Töchter und einen Sohn, sechs Kinder, von denen keines mehr auf einer Schulbank gesessen hat. Auch sonst lebt die Familie ganz unter sich: Nur sonntags gehen alle zusammen aus – in die Kirche. Kontakte haben die Kinder nur „in der Gemeinde“, unterrichtet werden sie zuhause von den Eltern, wie diese beteuern. Der Behörde reicht das nicht: „Homeschooling“ ist in der Bundesrepublik nicht erlaubt. Also schickte sie mahnende Briefe an die Eltern – ohne Erfolg. Sie verhängte Zwangsgeld, mehrmals bereits – Frauke und André R. zahlten nicht. Dann zeigte die Behörde sie an, und vom Amtsgericht wurden sie wegen Verstoßes gegen das Schulgesetz verurteilt – auch das blieb ohne weitere Folgen.

Ende April dieses Jahres dann glaubten die Sachbearbeiter im Amt, nun endlich Lehrbücher für die inzwischen drei schulpflichtigen Mädchen bestellen zu können: Das Oberverwaltungsgericht gab grünes Licht dafür, den 43-jährigen André R. zur Durchsetzung der Schulpflicht in Erzwingungshaft zu nehmen. Allein: Er hat seither keinen Fuß ins Gefängnis gesetzt, seine Töchter keinen in irgendeine Schule. Denn mit der Haft sollte zunächst nur erzwungen werden, dass die Eltern ein Anmeldeformular ausfüllen. Das taten sie – und der Haftgrund war weg. Zur Schule gingen die Töchter trotzdem nicht. „Die hätten sie genauso gut auf einer Mondschule anmelden können“, grummelt Behördensprecher Luckow. „Der Vater schickt sie doch sowieso nicht hin.“

Deshalb ist die Behörde erneut vor Gericht gezogen. Diesmal soll mit der Haft erzwungen werden, dass die Töchter die Schule, auf der sie seit April angemeldet sind, auch wirklich besuchen. Dass es sich dabei um eine Gesamtschule handeln soll, bestätigt Luckow nicht. Dafür aber, dass die Geduld auf Seiten des Amtes langsam am Ende ist.

Für dieses Schuljahr ist der Zug wohl abgefahren. Ab dem kommenden August aber will die Behörde die Mädchen notfalls von zuhause zum Unterricht abholen lassen, während Vater R. im Gefängnis schmort. Womit das Problem allerdings auch nicht endgültig gelöst wäre: Sechs Kinder hat die Familie aus dem Reihenhaus, und die nächste Tochter nähert sich dem schulpflichtigen Alter. „Das“, seufzt Behördensprecher Alexander Luckow, „ist eine Geschichte ohne Ende.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen