: Der Bär und die Vogelgrippe
Wer nicht gegessen wird, findet entschieden mehr Beschützer als die Tiere in der industriellen Produktion. Denen geht es seit der Vogelgrippepanik eher schlechter -–aber dieses Wissen taugt nicht zur Wiederauflage des Medienhype um die Geflügelpest
VON CORD RIECHELMANN
Es ist noch nicht lange her, da „raste die Vogelgrippe“ auf Hamburg zu, wie Bild schrieb. Die Zeitung beschwor das Szenario einer Katastrophe, die mit der Stadt mindestens die halbe Welt in Krankheit und Siechtum hätte schicken können. Jeder tote Schwan auf einem Dorfweiher oder Parkteich war eine Weltnachricht, gesendet und kommentiert zur Primetime und auf den ersten Seiten auch der seriösen Zeitungen. Selbst das Ende der Fußball-Weltmeisterschaft wegen Vogelgrippe wurde damals angekündigt.
Daraus wurde nichts. Die derzeit erfrischend Angriffsfußball zelebrierende deutsche Mannschaft steht dabei genauso für das Scheitern einer Medienkampagne wie die Ruhe gegenüber den zurzeit im Land brütenden Zugvögeln. Klinsmanns Truppe ist die erste deutsche Mannschaft seit 1966, die gegen die Bild-Zeitung und den FC Bayern München aufgestellt wurde, und so spielt sie auch. Ebenso erfreulich geht es unter den Vögeln im Land zu. Am Himmel über Weimar, Hamburg und Berlin drehen die Mauersegler ihre rasenden Runden, ohne dass die Menschen unten den Seglern das ihnen angedichtete Bedrohungspotenzial nachtragen.
Das ist die gute Nachricht zur derzeitigen Stille um die sogenannte Vogelgrippe. Die in fast allen Medien – mit Ausnahmen wie des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung, in der ein leitender Redakteur eine sehr kluge Pathologin zur Frau hat, und der taz – mit allen Mitteln der Verblendung geführte Panikkampagne um tote oder hustende Zugvögel ist nicht in der Bevölkerung angekommen. Erst vor einer Woche sagte mir ein Fischer auf einer ungenannt bleibenden deutschen Insel, auch bei ihnen habe es tote Vögel gegeben, man habe sie einfach wie immer ohne großes Bohei vergraben.
Die Resistenz der Mehrheit gegen den Blödsinn der Panikmache hierzulande ging so weit, dass die New York Times schon meinte, die Deutschen wegen ihrer Sorglosigkeit gegenüber dem Geflügelpestvirus H5N1 abmahnen zu müssen. Aber selbst das half im Frühjahr nicht. Die „Tagesthemen“ – zu Beginn der Zugvogelzeit der seriös sich gebende Fernsehvorreiter der Panik – drehten sich um 180 Grad. Ulrich Wickert verkündete, das in Deutschland jährlich um die 10.000 Menschen an der „normalen“ Grippe sterben. Eine Zahl, die in keinem Verhältnis zu den etwas über hundert Opfern von H5N1 weltweit steht.
Die letzten Bilder, die die Nachrichtenserien über die Grippegefahr im Ersten beendeten, zeigten nicht mehr lebende oder tote Zugvögel, sondern fast kommentarlos Innenaufnahmen aus den Massenhaltungszentren der Geflügelindustrie. Danach kehrte Ruhe ein. Die Vögel, die aus Afrika oder Asien hierher kamen oder von hier ins Leningrader Gebiet flogen, sangen ihre Lieder, bauten ihre Nester und ziehen gerade ihre Jungen groß. Die aus dem Nest fallenden und verendenden Küken werden nicht eingesammelt und von schnell einberufenen Einsatzteams mit schnell entwickelten Sofortvirentests der Pharmaindustrie auf H5N1 untersucht.
Selbst an Bild scheint die Ignoranz vieler ihrer Leser gegenüber der eigenen Naturkatastrophenpanikmache nicht spurlos vorbeigegangen zu sein. Man kann die derzeitige Bärenschutzkampagne der Zeitung auch als Abbitte an die eigene Klientel lesen. Alle, die zur „Vogelgrippezeit“ im Blatt schweigen mussten, kommen jetzt zu Wort. Radikale Tierschützer, besonnene Forstbeamte, grüne bayerische Oppositionspolitiker oder auch Leute, die nicht glauben mögen, dass die Natur aus heiterem Himmel als Katastrophe über uns kommt.
Doch damit kommt man langsam zum schlechten Teil der Nachrichtenruhe um die „Vogelgrippe“: Ein Unterschied zwischen Bären und Geflügel ist nämlich schlicht, dass sich Bären wegen ihrer biologischen Einzelgängerdisposition nie zur industriellen Fleischproduktion eignen werden. Insofern ist es billig und für das derzeit weltweit konkurrenzlos agierende System der Warenproduktion völlig gleichgültig, wenn an den großen Landraubtieren Tierschutzziele eingeklagt werden.
Bei in Massen auf engstem Raum gehaltenen Hühnern, Enten, Gänsen, Schweinen und Rindern sieht das anders aus. An den Haltungsbedingungen von Geflügel und anderen Tieren, die zur industriellen Nahrungsmittelproduktion eingesetzt werden, hat sich nichts geändert. Im Gegenteil. Seit dem ersten Auftreten des Geflügelpestvirus H5N1 1997 in Hongkong und den darauf zyklisch in Asien auftretenden Geflügelgrippewellen mit den vorbeugenden Massenschlachtungen sind viele vorher halbwegs unabhängige kleine Geflügelbauern, die um ihr Haus ein paar hundert Vögel hielten, ihrer Existenz beraubt worden oder in die Abhängigkeit großer landwirtschaftlicher Exportkonglomerate geraten.
Konkret heißt das für diese Bauern, dass sie zu „Facharbeitern in ihrem eigenen Betrieb“ werden, wie die Journalistin Isabell Delorge schreibt: „Durch die vertragsgebundene Landwirtschaft kontrollieren Großfirmen den gesamten Produktionsprozess: Sie leihen den Farmern Geld, sie verkaufen ihnen junge Hühner, Futter und Medikamente, und sie haben das Recht auf die Gesamtabnahme der Produktion. Bei niedriger Nachfrage ist die Firma natürlich gewöhnlich nicht verpflichtet, die Hühner zu kaufen.“
Das alleinige Produktionsrisiko tragen in diesem Vertragsverhältnis die Bauern. Das macht sie extrem abhängig von den generellen saisonalen Schwankungen der Nachfrage auf dem Weltmarkt. Dass unter solchen Bedingungen die Haltung der Tiere nicht das erste Anliegen der Bauern ist, ist zwangsläufig und nicht ihre Schuld. Unter dem Schuldendruck gelangt dann auch schon mal Fleisch, das besser nicht verkauft werden sollte, in den Verwertungsprozess.
Zurzeit werden täglich verendete Tiere von Arbeitern in Schutzanzügen und Gasmasken aus den Massenhaltungszellen geholt. Die Zucht von Geflügel und ihren Krankheiten geht weiter. Dass darüber nichts gemeldet wird, ist – man kann es nur so sagen – logisch.
An den tatsächlichen Ursachen, das weiß man in den Zeitungen, wird nichts geändert werden. Sie kommen über uns, scheinbar so unabwendbar wie eine Naturkatastrophe. Und für Naturkatastrophen ist die Wissenschaft zuständig, und die, das konnte man in den letzten Tagen einer kleinen Meldung entnehmen, macht weiter mit H5N1. Es sei im Labor gelungen eine Variante von H5N1 herzustellen oder zu finden – der Unterschied wurde nicht so genau erklärt –, die auch für Menschen gefährlich werden könne. Damit hat man eine Blaupause für einen möglichen Impfstoff in der Hand. Das beruhigt die Menschen und gibt den Hühnern weiter keinen Anlass zum Lachen.
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