wm, niederlagen etc.: Jetzt wird wieder abgeflaggt
Dass Niederlagen klug machen können, ist eine These, die Wolfgang Schivelbusch neulich mit seiner „Kultur der Niederlage“ ins Gespräch gebracht hat. In der Tat ist die WM 2006 ein prima Beleg dafür – wenn man die Euro 2004 hinzuzieht. Aus der Niederlage des Ausscheidens in der Vorrunde hat der deutsche Fußball die kluge Lehre gezogen, es beim nächsten Mal radikal anders zu versuchen. Dafür ist er mit dem Viertelfinale belohnt worden, was – selbstverständlich – (außer für Brasilianer) immer ein Erfolg ist. Wenn nicht alles täuscht, zeigt sich Deutschland ja auch gerade als guter Verlierer. Anders als etwa noch bei 1998er-WM muss man sich für die Reaktionen nicht schämen. Das ist etwas, wofür man sehr dankbar sein kann.
Dennoch will es einem nicht gelingen, das alles restlos als Erfolg zu werten. Und wirkte es nicht unangemessen, als Johannes B. Kerner gleich nach dem Spiel das Scheitern als Chance verkaufen wollte: dazu, sich jetzt erst recht als sympathischer Gastgeber zu präsentieren? Es waren ja große Erwartungen geweckt worden (auch dies eine Lehre aus 2004: Diese junge Mannschaft muss von kollektiver Begeisterung getragen werden, sonst wird das alles nichts). Und die Enttäuschung danach will man sich nicht nehmen lassen. Mal sehen, wie stark heute die Medien auf der manisch-depressiven Schiene spielen – es ist ja immer die erste, die einem zur Nachbearbeitung von Niederlagen einfällt. Aber auch wenn man die Rede von kollektiver Trauer für zu unterkomplex hält: Es gibt dann doch etwas an ihr, was zu einem spricht.
Und wie wird einen die Niederlage gegen Italien klug machen? Soll man Anschlussprojekte suchen, kollektiv die Ärmel hochkrempeln und nun eben mit der gleichen Begeisterung die Gesundheitsreform, die Arbeitslosigkeit, die Integration anpacken? Man wird Autoren finden, die nun solche Thesen vertreten werden. Aber man wird auch sehen, dass das Käse ist. Einige Wochen haben sich viele Menschen versammelt, um ihre Freude über die deutsche Mannschaft zu teilen. Nun werden sie sich wieder zerstreuen, und alles wird sich wieder ausdifferenzieren: Ein jeder wird seine Begeisterung woanders suchen. Was man nun lernen kann, ist wohl, dass Kollektive nichts Stabiles haben. Und dass das auch gut so ist. Mit der Niederlage gegen Italien ist das WM-Kollektiv zerfallen – das Spiel vom Samstag wird bereits etwas Sentimentales haben. Aber es wird neue Kollektive geben. Bei manchen wird man gerne mitmachen, bei anderen nicht. Wenn man schon von Normalisierung unserer Gesellschaft sprechen möchte, dann bitte auch in dieser Hinsicht.
Es war eine schöne Zeit. Aber nun wird wieder abgeflaggt. Und dann kommen andere Freuden. Das wird bestimmt auch ganz schön. DIRK KNIPPHALS
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