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Plötzlich ist die Party vorbei

Dass auf Beirut wieder Bomben fallen, zerstört vor allem die Hoffnungen junger Libanesen. Den Bürgerkrieg vor 16 Jahren hatten sie längst abgehakt und kennen ihre Stadt nur als Partymetropole

Von KERSTIN SPECKNER

„Im Libanon ist wieder Krieg!“, ruft ein libanesischer Koch in einem Berliner Restaurant, als er die Nachricht hört: Israel hat Raketen auf den internationalen Flughafen von Beirut abgefeuert. Er klingt zwar besorgt, aber nicht wirklich überrascht – eher resigniert. Der Mann lebt seit vielen Jahren in Berlin und kennt seine Heimat nur als den Kriegsschauplatz, der sie lange war. Heckenschützen, Granaten und Bomben, das verbinden viele mit dem Land am Mittelmeer.

Doch gerade für junge Menschen steht der Libanon für alles andere als Raketen und Schüsse. Die Hauptstadt Beirut, die sich früher stolz als arabische Antwort auf Paris verstand, gilt wieder als Partymetropole des Nahen Ostens, die vielen jungen Arabern ein Gefühl der Freiheit vermittelt. Denn hier gibt es all das, was vielen anderen arabischen Städten fehlt: Bars, Clubs, Discos, Konzerte. Die Gäste kommen oft aus den Golfstaaten oder dem benachbarten Syrien. Die Fahrt von Damaskus dauert etwa vier Stunden, und viele ausgehfreudige junge Damaszener verbringen ihre Wochenenden im freizügigen Libanon.

Sushi, Pop und Cocktails

Von den jungen Libanesen, die heute in Beirut leben, sind viele im Ausland geboren, in Europa, den USA oder Kanada. Wenn sie sich treffen, wechseln sie oft lässig zwischen Englisch, Französisch und Arabisch. Wer noch nicht so lange im Land ist, spricht Englisch mit ein paar schicken Ausflügen ins Arabische. Sie treffen sich in Clubs oder in einer Sushi Bar, tanzen zu arabischer Popmusik und trinken Cocktails. Alkohol gibt es in jeder Bar und in den Supermärkten zu kaufen, ohne dass der Kunde schief angesehen wird.

In Beirut sind viele Fernsehsender zu Hause, die per Satellit in alle arabischen Länder senden. Oft kommen deren Eigentümer aus den reichen konservativen Ölländern. Um der dortigen strikten Medienzensur zu entgehen, wird vom Libanon aus gesendet, Videoclips, Comedyshows, Hollywoodfilme und arabische Versionen westlicher Spielshows.

Auch der arabische Superstar wird von Beirut aus gesucht. In Beirut existiert die einzige aktive Schwulenszene der arabischen Welt, obwohl Homosexualität offiziell verboten ist. Es gibt Szeneparties und Treffpunkte, das erste arabische Schwulen- und Lesbenmagazin Barra („draußen“) erscheint im Libanon.

Wenn sich die schiitische Hisbollah an der Südgrenze immer wieder Gefechte mit Israel lieferte, war davon in Beirut nichts zu spüren. An der Corniche, die kilometerlang am Mittelmeer entlang führt, sieht man viele Menschen in engen Sportsachen joggen, in den Strandclubs liegen Libanesinnen im Bikini in der Sonne.

In Downtown stehen die Glaspaläste internationaler Banken, Luxushotels und Boutiquen. Historische Gebäude, die im Krieg zerstört worden waren, sind wieder aufgebaut worden. Nur an wenigen Stellen sind noch die Einschusslöcher in alten Häuserwänden zu sehen. Die ehemalige Green Line, die die Stadt einst zwischen den Kriegsparteien teilte, sieht heute aus wie eine normale Straße.

Vom Club auf die Straße

Die junge Generation stellte sich auch gegen die syrische Besatzung und die syrientreuen Regierungsmitglieder. Nach dem Attentat auf den libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri im Februar 2004 waren es vor allem junge Libanesen, die sich als Erste auf die Straße wagten: Studenten schlugen am Märtyrerplatz ein Camp auf und prägten die Forderung „nuriid al haqiqa“ („wir wollen die Wahrheit“), was Millionen anderer Libanesen ebenfalls zum Protest ermutigte. Dieser neue Zusammenhalt zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen beschleunigte die Aufbruchstimmung noch.

Die israelischen Raketen fallen also keineswegs auf ein ohnehin vom Krieg gezeichnetes und gespaltenes Land. Der Frieden von Taif, der den Krieg zwischen Palästinensern, maronitischen Christen, Drusen und Schiiten beendete, wurde 1990 geschlossen. Alle, die danach geboren wurden, kennen den Krieg nur aus Erzählungen.

Im Stadtbild selbst erinnern an ihn nur noch die Einschusslöcher, die in den immer seltener werdenden Altbauten zu sehen sind. Oder die Bar „1975“ in der Monot Street, mitten in der Beiruter Innenstadt. Dort wird die gruselige Bürgerkriegsatmosphäre der Vergangenheit für die jungen Partygänger von heute ironisch simuliert: Die Kellner tragen Uniform und Helme, politische Parolen zieren die Wände, die Dekoration besteht aus Granatsplittern und sogar der Wodka wird in ausgedienten Munitionskisten gekühlt.

Eine authentischere Kriegsatmosphäre dürfte nur auf dem internationalen Flughafen von Beirut zu finden sein, der inzwischen frisch bombardiert und gesperrt worden ist. Auf Wodka wird man dort allerdings verzichten müssen.

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