OFFSHORE-KONTEN CHINESISCHER SPITZENKADER – WAR DA WAS?: Schwarzgeld der roten Kader
FELIX LEE
Offshore-Leaks? Für diesen Begriff gibt es auf Chinesisch bislang nicht einmal eine geläufige Übersetzung. Bei einer Straßenumfrage im beliebten Pekinger Einkaufsviertel Sanlitun war niemand in der Lage, zu den jüngsten Enthüllungen über angebliche Milliardenvermögen der KP-Elite auf Karibikinseln seinen Kommentar abzugeben. Die große Mehrheit ist darüber gar nicht informiert.
Wie auch? Die staatlich kontrollierten Medien in China haben die Enthüllungen auch nach drei Tagen mit keiner Zeile erwähnt. Einträge im Internet mit den Begriffen „Korruption“ in Kombination mit „Steueroase“ und „Kommunistischer Partei“ sind binnen weniger Minuten gelöscht. Wer diese Begriffe auf einer bekannten chinesischen Suchmaschine eingibt, wird automatisch auf eine Seite mit Werbung für ein widerwärtig schmeckendes Süßgetränk umgeleitet.
Ein internationales Team von investigativen Journalisten hat sich in den letzten zwei Jahren die Mühe gemacht, die Zehntausenden von Daten über die Machenschaften in Steueroasen auszuwerten. Bei ihrer Durchsicht waren ihnen viele chinesische Namen aufgefallen. Mitte der Woche veröffentlichten sie die Ergebnisse. Neben Chinas Superreichen fanden sich auch die Namen von Familienmitgliedern bekannter Spitzenfunktionäre der Kommunistischen Partei, die offensichtlich über Jahre hinweg gewaltige Summen in die Karibik geschleust haben. Kapitalflucht wird in China streng bestraft. Offiziell darf eine Person im Jahr nicht mehr als 50.000 US-Dollar ausführen.
Enthüllungen dieser Art würden in anderen Ländern ganze Regime stürzen. In China sicherlich auch, zumal der amtierende Staatspräsident Xi Jinping seit Monaten das Land mit einer Antikorruptionskampagne überzieht und ständig betont, dass er niemanden verschonen werde – auch Spitzenkader in den eigenen Reihen nicht.
Umso mehr ist er nun darum bemüht, sämtliche Berichte und Ermittlungen zu vertuschen, die sein eigenes Umfeld betreffen. Den geleakten Informationen zufolge hat sein eigener Schwager Vermögen in die Karibik geschleust. Die Zensurbemühungen gingen Mitte der Woche so weit, dass zwischendurch zwei Drittel des gesamten chinesischen Netzwerks ausgefallen war, damit sich die geleakten Informationen nicht in China ausbreiten. Offenbar hatte ein Zensor am falschen Stecker gezogen.
Zumindest eine ironische Bemerkung kursierte im Internet, bevor auch sie kurze Zeit später dem Zensurapparat zum Opfer fiel. Chinas einstiger Staatschef und Reformer Deng Xiaoping hatte einst die Maxime ausgegeben: „Die Steine tastend den Fluss überqueren“. Was Deng damit sagen wollte: Das Land solle nicht weiter einer bestimmten Ideologie folgen, sondern einfach ausprobieren, was gut funktioniert und was nicht.
Niemand komme heute noch über den Fluss, schrieb jedoch ein Blogger. Die Reichen und Mächtigen seien längst „offshore“ – und haben die Steine gleich mitgenommen.
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