Vor der Herausforderung

Ausnahmezustand beim Bush-Besuch. Wie soll das erst im nächsten Sommer werden, wenn acht Staatschefs kommen?

AUS BAD DOBERAN FELIX LEE

Natürlich hat Peter Husar schon mal von den „Globalisierungsgegnern“ gehört, von den Krawallen in Genua und den Straßenblockaden im letzten Jahr im schottischen Gleneagles. Aber Verständnis hat der parteilose Stadtverordnete für ihren Protest nicht. „Ich mag sie politisch nicht“, sagt der 59-Jährige. Deshalb, findet er, sollte die Stadt ihnen auch keine Wiese zur Verfügung stellen, auf der sie während des G-8-Gipfels im nächsten Sommer zelten könnten.

Trotzdem ist Husar heute Abend zur Informationsveranstaltung der Gipfel-Gegner ins Bad Doberaner „Kornhaus“ gekommen. Was er hier hört, verunsichert ihn dann doch. „Wenn zehntausende G-8-Gegner den Doberaner Marktplatz belagern, weil kein Zeltplatz zur Verfügung steht, wird die Stadt auf jeden Fall ein Problem haben. Ob sie es will oder nicht.“ Der das sagt, spricht aus Erfahrung. Der vorn auf dem Podium sitzende Bewegungsveteran Armin Meyer hat schon 1988 in Berlin gegen die IWF-Tagung protestiert, aktuell ist er beim „Aktionsbündnis gegen Gentechnik“ aktiv.

Neben Husar sitzt auch ein Vertreter der Doberaner CDU. Wenige Tage später erscheint im Lokalblatt ein verunsicherter Brief der Stadt-CDU: „Weiß der Bürgermeister eigentlich, dass die Globalisierungsgegner sich formieren und im städtischen Kornhaus zur Mobilisierung aufrufen?“

Von Mobilisierung ist an diesem lauen Sommerabend im Kornhaus wenig zu spüren. Etwa 20 interessierte Doberaner sind der Einladung der Gipfelgegner gefolgt. Sie wollen wissen, was auf sie zukommt. Noch ist dem Ort nicht anzumerken, dass in genau einem Jahr die ganze Welt auf ihn blicken wird. Die Hochsaison hat noch nicht begonnen, die Straßencafés sind leer. Einmal pro Stunde tingelt der „Molly“ durch die Innenstadt, die alte Schmalspurbahn verbindet die Stadt mit der 5 Kilometer entfernten Küste. „Der große Ansturm auf die Ostseeregion wird erst in ein paar Tagen erwartet“, erklärt die Bäckerin – dann haben alle Bundesländer Ferien. Aber selbst die Hochsaison wird nicht zu vergleichen sein mit dem, was die 11.000 Einwohner zählende Kreisstadt nächstes Jahr zu erwarten hat. Denn zu Bad Doberan gehört auch der Ortsteil Heiligendamm, Deutschlands ältestes Seebad an der mecklenburgischen Ostseeküste. Nächstes Jahr wird es Austragungsort des G-8-Gipfels sein.

In der „weißen Stadt am Meer“ waren schon der russische Zar Nikolaus I. und Königin Luise von Preußen zu Gast. Feldmarschall Blücher, die Dichter Rainer Maria Rilke und Marcel Proust sind hierher gereist, aber auch Adolf Hitler und Benito Mussolini. In der DDR wurden in den 50er-Jahren die ehemaligen Privatresidenzen, das Kurhaus und das Grand Hotel zum „Sanatorium für Werktätige“ umfunktioniert. Nach der Wende verfielen sie, bis 1996 die Investorengruppe Fundus die Anlage kaufte. Heute ist hier alles wieder tipptopp saniert, sodass sich in einem Jahr die gegenwärtig Mächtigsten der Mächtigen treffen können: die Regierungschefs der sieben größten Industriestaaten plus Russland. Mit ihnen ein Tross von 15.000 weiteren Gipfelteilnehmern und 4.000 Journalisten. Und 120.000 Gegendemonstranten.

An diese Zahl zumindest glauben die Gipfelgegner. Zum Beispiel Matthias. „Für die deutsche Linke wird der G-8-Gipfel etwas ganz Neues sein“, schwärmt der Berliner, der wie so viele Globalisierungskritiker seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Lange habe es kein so breites Protestspektrum mehr gegeben, meint er.

Und dann beginnt Matthias zu erzählen. Warum innerhalb der G 8 „zutiefst ungerechte und unvernünftige Entscheidungen“ getroffen werden. „Die beraten nicht, wie es der Welt besser gehen kann, sondern wie sie noch mehr Geld scheffeln können.“ Die Auswirkungen dieser Gier seien doch hier unmittelbar zu spüren, erklärt der 36-Jährige: Die Fundus-Gruppe zum Beispiel, die 230 Millionen Euro in die Sanierung des denkmalgeschützten klassizistischen Ensembles von Heiligendamm investiert hat, um das Luxushotel zu eröffnen, in dem nächsten Sommer die Staatschefs unterkommen sollen. Der Betreiber habe tatsächlich vorgehabt, den Strand zu privatisieren und ihn nur noch den Kempinski-Gästen zur Verfügung zu stellen.

Matthias’ Jargon ist anzumerken, dass er schon viele Proteste organisiert hat. Heute versucht er im Kornhaus, den Doberanern die feinen Unterschiede innerhalb der Szene näher zu bringen: er spricht von „den klassischen NGOs“ – Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace, BUND, Weed, Pax Christi oder Evangelischer Entwicklungsdienst. Die hätten sich zwar noch nicht zu einem Bündnis zusammengeschlossen, aber es gebe bereits regen Austausch. In Rostock habe sich ein weiteres Bündnis gegen den G-8-Gipfel gegründet, das die Kräfte der Kritiker vor Ort bündeln will. Weiter erzählt er von der „Interventionistischen Linken“, einem Zusammenschluss linker Gruppen, an dem unter anderem die Globalisierungskritiker von Attac beteiligt sind. Und wozu gehört Matthias selbst? Zum „Dissent“-Netzwerk, in dem sich anarchistische und autonome Gruppen zusammengeschlossen haben. Unerwähnt lässt er die Linkspartei, die in Berlin eine Stelle zur Vorbereitung des G-8-Protestes eingerichtet hat; außerdem die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die während des Gipfels einen Gegenkongress veranstalten will; und die Grüne Jugend, die sich ebenfalls emsig an den Vorbereitungen beteiligen will. Verstanden hat das Publikum die Unterschiede wohl nicht. Es hört gleichwohl interessiert zu.

Es ist nicht die erste Informationsveranstaltung der Gipfelgegner in jener Stadt, die sie nächstes Jahr belagern wollen. Im Frühjahr gab es schon einmal eine. Husar war nicht da. Das mag daran gelegen haben, dass er – wie so viele Stadtverordnete von Bad Doberan – das Thema G-8-Gipfel vor allem mit „großen Chancen für die Stadt und für die Region“ in Verbindung gebracht hat. Etwa die CDU, die vom „Treff der wichtigsten Frauen und Männer der Welt“ gesprochen hat und dass 2007 „eine große Herausforderung für Heiligendamm“ werde. Die positiven Auswirkungen seien ja jetzt schon zu spüren: Bundes- und Landesstraßen würden neu gebaut oder instand gesetzt; das Verkehrswegesystem entwickle sich zu einem der modernsten im ganzen Land. Wer kann dazu schon Nein sagen?

Heike Ohde zum Beispiel. Die Stadtverordnete eines parteiunabhängigen Bürgerbündnisses erzählt: „Am Anfang war die Euphorie sehr groß.“ Nicht über den G-8-Gipfel selbst, sondern über die angekündigten Investitionen in die strukturschwache Region. Sie meint nicht den Straßenbau – der sei ohnehin fest eingeplant gewesen und werde nun bloß vorgezogen.

Die Bürger hätten auf etwas anderes gehofft: auf Geld für städtische Einrichtungen, zum Beispiel für die Sanierung des Kornhauses. „Inzwischen sind wir ernüchtert“, sagt sie. Denn die Gelder fließen nun doch nicht. Und nun auch noch dieser Sicherheitswahn …

Einen kleinen Vorgeschmack darauf haben die Bad Doberaner gerade bekommen. 12.000 Polizisten begleiteten in der vergangenen Woche den US-Präsidenten bei seinem Besuch in Mecklenburg-Vorpommern. In Heiligendamm hat Bush nur übernachtet – trotzdem standen Scharfschützen rings um das Hotelgelände, Nahkampfspezialisten und Hundestaffeln durchforsteten die Wälder, Taucher waren an der Küste unterwegs – Ausnahmezustand im Landkreis. Wie soll das im nächsten Sommer werden, wenn gleich acht Staatschefs kommen?

Auf genau diese Verunsicherung richten sich die Gipfelgegner ein. Natürlich ist ihnen klar, dass sie das von der Hotelkette Kempinski geführte Fünfsternehotel nicht einmal aus der Ferne sehen werden. „Es wird keinen Sturm auf Heiligendamm geben“, sagte ein Aktivist schon auf der ersten Aktionskonferenz Ende März in Rostock. „Wir werden Heiligendamm nicht einmal aus der Ferne sehen.“

Zentrum des Protests soll deshalb das nahe gelegene Rostock werden. Dort sind bereits einige Großdemonstrationen angemeldet. Und die Gipfelgegner wollen sich nicht nur mit der offiziellen Agenda des G-8-Staaten auseinander setzen, sondern die Themen bestimmen. Eine Demo soll sich zum Beispiel ausschließlich der Migrationspolitik widmen.

Trotzdem wollen die Kritiker es nicht bei symbolischer Politik belassen – sie wissen, dass Bad Doberan viel zu klein für alle Gipfelteilnehmer sein wird. Ausweichorte sind Schwerin, Wismar und eben Rostock. Täglich werden die internationalen Gäste quer durch die Region gefahren werden müssen, und genau das wollen die Gipfelgegner ausnutzen. „Flächendeckende Straßenblockaden sind geplant, Protestcamps mit mehreren zehntausend Aktivisten“, sagt Matthias. Mehr will er darüber nicht verraten – nicht dass die Organisatoren jetzt schon auf die Idee kommen, auf die Besitzer der campingtauglichen Wiesen Druck auszuüben.

Wird Heiligendamm jetzt berühmt? So wie Genua 2001, Gleneagles 2005, Sankt Petersburg 2006? Ja, im Gespräch werde der Ort noch lange nach dem Gipfel sein, sagt Matthias. Denn es laufe wie immer, wenn sich die Mächtigen gegen die Kritik der Straße abschotten. Es werde Negativschlagzeilen über Polizeigewalt geben, über Strafverfahren gegen Demonstranten, Prozesse, die noch über Jahre die Schlagzeilen bestimmen …

Das gibt Peter Husar denn doch zu denken. Am Ende der Veranstaltung im Kornhaus gibt der Stadtverordnete zu: „Über die Proteste haben wir in der Stadt vielleicht doch noch zu wenig diskutiert.“ In einem Jahr ist es dann so weit.