: „Ich bin ein politischer Arzt“
von ANNIKA JOERES und ANDREAS WYPUTTA
taz: Herr Henke, Sie sind der Öffentlichkeit vor allem als Arzt bekannt – auch wegen Ihrer Funktion als Landesvorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Ist der Ärztestreik Ihre Chance, auch als Politiker bekannt zu werden?
Rudolf Henke: Bekanntheit allein ist kein Kriterium. Ich sammele keine Zeitungsartikel. Allerdings haben Bundesvorsitzende und Minister natürlich einen leichteren Zugang zu den Medien als ein einfacher Abgeordneter. Insgesamt bin ich mit meiner Resonanz ganz zufrieden. Um politisch gestalten zu können, muss man nicht ständig den Lautsprecher geben.
Als Vorsitzender des Marburger Bundes aber suchen Sie plötzlich die Scheinwerfer.
Das bringt die Lage mit sich.
Wie schlecht geht es den Ärzten an kommunalen Kliniken?
Die meisten Ärzte leisten enorm viel unbezahlte Arbeit. Aber sie leben nicht in Armut. Wir wollen nicht das Sozialamt imitieren. Bei den Klinikärzten geht es schlicht um die Frage lebensverträglicher Arbeitsbedingungen. Ärzte brauchen auch noch ein Familienleben, Patienten benötigen ausgeruhte Ärzte. Wer regelmäßig 24 Stunden im Einsatz ist, muss soziale Beziehungen vernachlässigen, kann seine Kinder nicht erziehen.
In der Auseinandersetzung geht es um die Gehaltshöhe.
Die Arbeitgeber wollen Gehaltskürzungen von mehreren hundert Euro im Monat durchsetzen. Sie greifen ihren qualifiziertesten Leistungsträgern schamlos ins Portemonnaie. Sie ignorieren vollkommen den internationalen Vergleich. Viele Kolleginnen und Kollegen setzen ihre Karriere im Ausland fort. Das ist ein Aderlass für das deutsche Gesundheitswesen, der letztendlich zu einer Versorgungslücke führt.
Wollen Sie auswandern?
In der Zeit meines beruflichen Einstiegs war die Idee von der Auslandskarriere auch noch nicht so verbreitet. Heute aber haben die meisten Ärzte schon vor dem Studium Auslandserfahrungen gesammelt, in Lateinamerika zum Beispiel. Sie sind auf einen Wechsel ins Ausland gut vorbereitet, kennen die Bedingungen. Ich bedauere schon, dass ich nie im Ausland gearbeitet habe.
Bei den Auseinandersetzungen um Unikliniken waren Sie sehr zurückhaltend. Lag das daran, dass Sie als CDU-Landtagsabgeordneter für die Einsparungen an den Unikliniken mit verantwortlich sind?
Ich bestreite Ihre Darstellung. Ich habe fast überall in NRW an Streikaktionen teilgenommen. Ich habe bundesweit auf Kundgebungen in Mainz, Berlin, Düsseldorf, Leipzig und Münster gesprochen, immer mit viel Applaus. Davon abgesehen: Es gibt keine Pflicht, Sparziele durchzusetzen, wenn ich sie für falsch halte. Es muss aber Schluss sein mit immer mehr Staatsverschuldung. Von hundert Euro Steuern fließen schon heute dreizehn an diverse Kreditgeber, meistens große Banken und Investoren. Das ist eine Umverteilung...
...jetzt redet wieder der Politiker Rudolf Henke.
Ja. Es ist eine moralische Verpflichtung, die Staatsverschuldung zurückzuführen. Wir in NRW wollen wieder gestalten können, weniger Schulden tilgen müssen. Dazu sind natürlich zunächst an vielen Stellen bittere Einschnitte nötig.
Jetzt möchte aber Ihr Marburger Bund mehr Geld aus den klammen öffentlichen Kassen.
Die Ärzte fordern international konkurrenzfähige Gehälter. Das ist nur legitim.
Überall soll gespart werden, aber ins Gesundheitssystem muss Geld gepumpt werden?
Für immer mehr Leistung braucht man auch etwas mehr Geld. Im Landeshaushalt stehen auch die Investitionen für die Infrastruktur der Krankenhäuser unter Druck. Mit Mühe werden wir sie 2007 um 40 Millionen erhöhen. Die Gehälter der Ärzte dagegen werden nicht vom Land oder den Städten und Gemeinden gezahlt, sondern sie stecken auch im öffentlichen Krankenhaus im Budget und werden von den Versicherten aufgebracht – egal, ob sie gesetzlich oder privat versichert sind. Die Versicherten haben einen Anspruch, dass die Krankenhäuser ihre Ärzte nicht verscheuchen.
Dennoch: Beim Tarifstreit der Ärzte an Unikliniken hat der Verhandlungsführer der Länder, Hartmut Möllring, monatelang kaum Kompromissbereitschaft gezeigt – auch im Namen der von Ihnen mitgetragenen NRW-Landesregierung. Ein Spagat für den CDU-Politiker und der Ärztefunktionär Henke?
Ich respektiere unseren Landesfinanzminister Helmut Linssen in seiner Rolle als Arbeitgeber, die er gegenüber den Ärzten ausfüllen muss. Genauso erwarte ich in einer Volkspartei auch Respekt für mein Engagement auf der anderen Seite. Bisher wird das auch von allen Parteien akzeptiert. So ist die Arbeitsteilung. Allerdings könnte der Landesvorsitzende des Marburger Bundes auch nie gleichzeitig Finanzminister sein.
Gesundheitsminister auch nicht.
Die Frage stellt sich nicht.
Sie beschreiben Ihre Doppelfunktion sehr pragmatisch als Rollenverteilung. Wo schlägt denn Ihr Herz?
Ich sehe da keinen Gegensatz. Ich würde mich als politisch interessierten Arzt beschreiben, der das Gesundheitssystem leistungsfähig halten will. Ich habe eine biographische Nähe zu den Patienten und Ärzten – und ich kenne die Herausforderungen, vor denen das System angesichts des demografischen Wandels, angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung steht...
Trotzdem sind Sie beim Kampf um die kommunalen Krankenhäuser wesentlich aktiver. Liegt es daran, dass das Land hier nicht direkter Tarifpartner ist?
Nein, das stimmt nicht. Diese Auseinandersetzung vor Ort führt schlicht zu viel mehr regionaler Presse. Jetzt wird nicht mehr nur der Bundesvorsitzende des Marburger Bunds, Frank Ulrich Montgomery, als Verhandlungsführer der Ärzte wahrgenommen, sondern auch der Landesvorsitzende. Und von dem konnten Sie auch in der Vergangenheit schon deftige Streikreden hören.
Mit dem Gesundheitskompromiss der großen Koalition dürfte dagegen weder der Politiker noch der Arzt Rudolf Henke besonders zufrieden sein?
Wie alle Kompromisse ist das natürlich keine Politik aus einem Guss. Manches ist sehr, sehr sinnvoll: Das Zusammenwirken stationärer und ambulanter Versorgung etwa wird erleichtert. Auch die Versorgung alter Patienten in der Pflege wird besser werden. Allerdings birgt dieser Kompromiss auch erhebliche Schattenseiten: Das Ziel einer nachhaltigen Lösung der Finanzierung des Gesundheitssystems wurde nicht erreicht. Das äußert sich auch in der aktuellen Diskussion um Finanzierungsform und Finanzierungsquellen...
Wie sieht Ihr Modell aus?
Wenn eine Entkopplung von den Löhnen und Gehältern gefordert wird, werden wir um eine stärkere Steuerfinanzierung nicht herum kommen, und zwar über die jetzt beschlossenen drei Milliarden Euro für die Mitversicherung von Kindern hinaus. Es ist doch ein riesiger Widerspruch, dass wir die 4,7 Milliarden aus der Tabaksteuer wieder aus dem System herausnehmen. Diese Milliarden wurden doch verursachungsgerecht eingesetzt. Es ist schlicht nicht logisch, erst 4,7 Milliarden an Steuermitteln zu streichen, um anschließend drei Milliarden neu ins System zu pumpen. Das kann man doch niemandem erklären.
Dabei verstärkt sich bei den Versicherten der Eindruck, sie erhielten für immer höhere Beiträge immer weniger Leistung.
Das mag sich für den einzelnen Versicherten so darstellen. Bedenken Sie aber: Die Versichertengruppe insgesamt wird älter, wir haben immer mehr Rentner. Dazu kommt noch die Massenarbeitslosigkeit, die sich als Einnahmensschwäche der gesetzlichen Krankenkasse niederschlägt. Die Engführung der Finanzmittel, die die CDU auch gemeinsam mit der FDP immer kritisiert hat, wird jetzt fortgesetzt. Das konterkariert die nordrhein-westfälische Landespolitik.
Wieso? Ihr Parteifreund, Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann, hat doch als eine seiner ersten Amtshandlungen die Investitionszusagen für Krankenhäuser gestoppt.
Falsch. Karl-Josef Laumann hat lediglich darauf hingewiesen, dass die rot-grüne Vorgängerregierung ungedeckte Schecks ausgestellt hat: Die Finanzierungszusagen waren vom Haushalt nicht mehr gedeckt. Indem der Gesundheitsminister für das Jahr 2006 auf weitere Zusagen verzichtet hat, nähert er die Versprechen der Landesregierung nur der finanzpolitischen Realität an. Und im kommenden Jahr sollen wieder 100 Millionen Euro für die Infrastruktur der Krankenhäuser zur Verfügung stehen.
Sie sind also mit Ihrem Gesundheitsminister zufrieden – obwohl der sich nicht einmal festlegen will, wie viele Krankenhäuser NRW braucht?
Ja, damit bin ich sehr zufrieden. Kein Oberschlaumeier kann voraussehen, wie sich der medizinische Fortschritt entwickelt, welche Behandlungen zukünftig auch ambulant durchgeführt werden können. Deshalb ist es weise, sich nicht auf bestimmte Zahlen festzulegen.
Die FDP wird das nicht freuen. FDP-Landtagsfraktionschef Papke schlägt härtere Töne an.
In der Gesundheitspolitik ziehen wir an einem Strang. Wenn es Differenzen gibt, dann liegen die eher im Stil. Es gibt für Abgeordnete keine Pflicht, pausenlos Wahlkampf zu betreiben und sich um jeden Preis zu profilieren. Aber ich weiß natürlich auch, dass gerade kleinere Parteien sich ungern Chancen entgehen lassen, aufzufallen – und solche Werbung verwendet nun einmal angespitzte Argumente.
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