: Der Folterer als „Zeitzeuge“
Bei der Debatte um Stasi-Infotafeln in Berlin hatten Ex-Stasimitarbeiter für einen Eklat gesorgt und die Linkspartei in Not gebracht. Gestern wurden die Tafeln enthüllt
BERLIN taz ■ Sie waren nicht zu sehen und trotzdem waren sie da. Die ehemaligen Stasimitarbeiter, die in den vergangenen Monaten im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg wie auferstanden aus Ruinen in der Öffentlichkeit erschienen. Auf einer Bürgerversammlung hatten sie im Beisein von Berlins Kultursenator Thomas Flierl von der Linkspartei die Gedenkstätte an die Stasi-Untersuchungshaftanstalt unwidersprochen als „Gruselkabinett“ bezeichnet. Als gestern im Schatten eines Wachturms vier Informationstafeln aufgestellt wurden, ließ sich keiner der alten Herren blicken. Doch alle RednerInnen nahmen Bezug auf sie.
„Wir wollen damit auch ein Zeichen gegen den Geschichtsrevisionismus vieler ehemaliger Stasi-Verantwortlicher setzen“, sagte der Direktor der Gedenkstätte Hubertus Knabe. Mit den Tafeln werde das zweitgrößte Sperrgebiet des DDR-Sicherheitsdienstes „nun endlich angemessen gekennzeichnet“. Hans-Eberhard Zahn, ehemaliger Häftling der Untersuchungshaftanstalt, sagte: „Hier fand massive psychische Folter statt, und es war eine Denunziationshölle. Man darf nicht vergessen, was geschehen ist.“ Den Großteil der Kosten für die Informationstafeln trägt die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Geschäftsführerin der Stiftung, Anne Kaminsky, ist den ehemaligen Stasimitarbeiter in gewisser Weise dankbar. „So eine Publizität hätten wir sonst nicht erreicht“, sagte sie.
Die Bezirksbürgermeisterin des PDS-regierten Bezirks war gestern nicht da. Das ist nicht verwunderlich. Denn Christina Emmrich von der Linkspartei hatte bei den Diskussion um das Stasigebiet mit Verständnis für die ehemaligen Stasimitarbeiter geglänzt, die sie als Zeitzeugen sieht. Der PDS-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) war es sehr schwer gefallen, den Tafeln Ende April zuzustimmen. Die Genossen hatten sich an dem Ausdruck „kommunistische Diktatur“ gestört, der nun auf einer der Tafeln steht.
Albrecht Hoffmann vom Vorstand der BVV, CDU-Mitglied und Pfarrer, beklagte gestern, dass sich der Bezirk bei der Finanzierung der Informationstafeln „äußerst enthaltsam“ gezeigt habe. „Erst wenn sie zur Normalität unseres Zusammenlebens geworden sind“, sagte er, „haben sie ihr Ziel erreicht.“ Ganz normal geht es noch nicht zu in Lichtenberg. Einige Anwohner einer an die Gedenkstätte angrenzenden Siedlung befürchten, dass der Wert ihrer Grundstücke durch die Markierungen sinkt. Sie haben bereits Unterschriften gesammelt und dem Bezirk übergeben. BARBARA BOLLWAHN
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