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Leiharbeit statt Job

Streit um Leiharbeit in der Diakonischen Behindertenhilfe Lilienthal: Kirchengerichtshof soll entscheiden

Im Streit um die Leiharbeit bei der Diakonischen Behindertenhilfe Lilienthal bei Bremen hat die Geschäftsführung den Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angerufen. Es gehe um die Frage, ob der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern in dem Unternehmen zulässig sei, sagte Geschäftsführer Hans Mencke. Die Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen hatte dies kürzlich verneint. Experten messen einer Entscheidung bundesweite Bedeutung zu.

Mencke verteidigte die längerfristige Leiharbeit und sagte, die Behindertenhilfe reagiere damit auf den enormen Kostendruck in der Sozialbranche. Sein Unternehmen stellt neue Beschäftigte seit Jahresanfang nur noch über die Leiharbeits-Tochterfirma „Dia Logistik“ an. Ihr Gehalt liegt laut Mencke zehn Prozent unter dem, was Heilerziehungspfleger oder Erzieher bekommen, die seit längerem tätig sind. Vertrauensleute der Gewerkschaft ver.di sprechen von Vergütungen, die sogar 20 Prozent unter dem herkömmlichen Niveau liegen.

Mencke sagte dem epd, von den rund 500 Beschäftigten in der Behindertenhilfe seien bereits 40 bei „Dia Logistik“ angestellt. Nur mit „marktfähigen Tarifen“ könne die Streichung von Personalstellen oder eine Insolvenz der wirtschaftlich gesunden Einrichtung vermieden werden. Unter den 40 Beschäftigten sind laut ver.di auch Mitarbeiter, die zum Teil seit Jahren mit immer wieder befristeten Verträgen tätig sind und nun zu „Dia Logistik“ wechseln mussten.

Die Schiedsstelle hatte Ende Mai entschieden, dies sei nicht mit kirchlichem Recht vereinbar. Damit wurde die Auffassung der Mitarbeitervertretung bestätigt, dass Leiharbeitsverhältnisse nur bei kurzfristigen Krankheits- oder Urlaubs-Vertretungen möglich sind. Die Gewerkschaft wirft der Geschäftsführung Lohndumping vor.

„Das Urteil des Kirchengerichtshofes wird für alle diakonischen Einrichtungen von Bedeutung sein“, sagte Regina Morr vom ver.di-Bezirk Bremen-Nordniedersachsen. So hat ähnlich wie in Lilienthal auch die diakonische Stiftung „Friedehorst“ in Bremen eine Tochterfirma gegründet, die bis zu 30 Prozent weniger Gehalt für neue Beschäftigte zahlt.

Bevor der Streit vor dem Kirchengerichtshof verhandelt werden kann, muss zunächst geprüft werden, ob die Kammer überhaupt zuständig ist. Während Mencke in der Auseinandersetzung einen Fall von grundsätzlicher Bedeutung sieht, ist der Bremer Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bernhard Baumann-Czichon, anderer Auffassung. Die Schiedsstelle habe sich laut eigener Urteilsbegründung „abschließend“ mit dem Thema befasst.

Möglich wurde die Leiharbeit, weil die rot-grüne Bundesregierung 2003 im Bereich der so genannten Arbeitnehmerüberlassung zahlreiche Verbote und Beschränkungen aufgehoben hat. „Mit anderen Worten: alle Schutzbestimmungen sind entfallen, die die Ersetzung von Stammbelegschaften durch billigere Leiharbeitnehmer verhindern sollten“, sagte Baumann-Czichon. In der niedersächsischen Diakonie sind momentan rund 40.000 Menschen beschäftigt. epd

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