: Der Fluch des Wohlstands
DEMOKRATIE In Aserbaidschan beherrscht die Korruption das politische Leben. Opposition findet im Internet statt
■ Wahlen: Im Herbst sind neun Millionen Aserbaidschaner zur Wahl eines neuen Parlamentes aufgerufen. Die Präsidentschaftswahl 2008 hatten die wichtigsten Oppositionsparteien aus Protest gegen mangelnde Chancengleichheit boykottiert. Staatschef Ilham Alijew wurde damals mit offiziell knapp 89 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Nach dem Urteil europäischer Beobachter genügte die Wahl trotz gewisser demokratischer Fortschritte nicht internationalen Standards.
■ Wahlklima: Präsident Alijews Partei Neues Aserbaidschan dominiert auch das Parlament, in dem die zerstrittenen Oppositionsparteien nur über sieben Sitze verfügen. Vor allem in Baku gilt eingeschränkte Versammlungsfreiheit; Verhaftungen und Verleumdungsklagen gegen missliebige Journalisten förderten „nicht die freie Meinungsäußerung, die zu einem demokratischen Wahlprozess gehört“, urteilte die OSZE in einem Bericht zur Vorbereitung der Parlamentswahl im November. (kh)
AUS BAKU KLAUS HEYMACH
Einen besseren Ausblick kann man sich als Wirtschaftsminister von Aserbaidschan kaum wünschen. Gegenüber dem prächtigen Regierungspalast, den deutsche Kriegsgefangene einst unter Stalin bauten, steht ein 15-stöckiger Rohbau aus Beton, in dem keine Wohnung für weniger als eine halbe Million Euro zu haben sein dürfte. Unten reißen Baumaschinen die Straße auf, frisch polierte Limousinen stehen auf der sechsspurigen Uferstraße im Stau. Vom Kaspischen Meer zieht der Geruch von Salz und Rohöl herüber. Baku boomt.
Schahin Mustafajew hat ein mit Holz und Marmor verkleidetes Büro in einem der orientalisch anmutenden Ecktürme des Regierungspalasts, den die Bakuer noch immer Dom Soviet nennen. Der von Ministerien und Luxusapartments gesäumte einstige Leninplatz heißt heute Platz der Freiheit. Auf den Büchern in der Vitrine des Ministerbüros prangen Bilder jenes Mannes, der Aserbaidschan nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion prägte: Haidar Alijew. Daneben stehen Schriften seines Sohns Ilham, seines Nachfolgers im Präsidentenamt.
„Der ehemalige Präsident hat weise Entscheidungen für unser Land getroffen“, sagt der Minister. „Sein Sohn setzt diese Politik fort.“ Mehr als 1.000 Kilometer neue Straßen, 1.600 neue Oberschulen, das Bruttoinlandsprodukt fast verdreifacht innerhalb von fünf Jahren, zählt Mustafajew auf. „Im Vergleich zu den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit leben wir heute auf einem anderem Planeten.“
Der Boom im Südkaukasus lockt. Jeder zweite Dollar, der in den vergangenen 15 Jahren in Aserbaidschan investiert worden sei, stamme von ausländischen Investoren, sagt Mustafajew. Für den Abend hat sich eine Delegation der Bayerischen Staatskanzlei angekündigt. Doch was sagen die ausländischen Besucher zu Platz 143 auf der Rangliste von Transparency International – hinter Nigeria und Pakistan? „Falsche Wahrnehmung“, meint der 45-Jährige und holt eine Plastik aus Acrylglas hinter dem Schreibtisch hervor mit der Schriftzug „Top Reformer 2009“. Kein anderes Land habe sich so reformfreudig gezeigt, lobte die Weltbank in einer Studie zur Unternehmerfreundlichkeit. Aserbaidschan setzte sie auf Rang 38 – nur 11 Plätze hinter Deutschland.
Ein paar hundert Meter weiter in Richtung Altstadt sitzt Hikmat Hadschisade vor einem süßen Tee im „Traveler’s Coffee“. An den Wänden verbreiten Schwarz-Weiß-Bilder Fernweh. Mit seinem zerzausten Haar und dem olivgrünen Poloshirt sieht Hadschisade selbst wie ein Weltenbummler aus. Der 55-jährige Politologe ist einer der Wortführer der Opposition, doch die Zentrale seiner Gleichheitspartei sehe aus wie ein Flüchtlingslager, sagt er. Deshalb die Verabredung in diesem Café, das Heißgetränke mit Milchschaum verkauft, die nur Touristen und ausländische Geschäftsleute trinken. „Was ist Caffè Latte?“, fragt Hadschisade, als er die bunte Karte studiert.
Dann wischt er alle Zahlen beiseite, die der Minister stolz vortrug: „Wirtschaftswachstum ist nicht alles.“ Nur wenige profitierten vom Aufschwung, die Volkswirtschaft sei nicht auf die Zeit nach dem Öl vorbereitet, und die Armenier im abtrünnigen Berg-Karabach ließen sich vom Wohlstand allein nicht unter aserbaidschanische Herrschaft zurücklocken. Bevor die Alijews in den 90ern die Macht im Staat übernahmen, war Hadschisade Botschafter in Moskau und Vizepremier in Baku, heute bezeichnet er sich als Dissident.
Pharaonen und Sklaven
„Das vergangene Jahr hat uns die Augen geöffnet“, sagt Hadschisade. Im März 2009 sicherte sich Ilham Alijew per Referendum das Recht, immer wieder für die Präsidentschaft zu kandidieren, ohne Beschränkung. Und im Juli mussten zwei Blogger ins Gefängnis. „Seitdem ist klar: Es gibt Pharaonen und Sklaven in diesem Land. Drei Prozent leben wie arabische Scheichs, der Rest lebt wie Bauern in Bangladesch.“ Es scheint, als spreche der Dissident von einem völlig anderen Land als der Minister. Vielleicht liegt das auch daran, dass einer der beiden inhaftierten Blogger Hadschisades Sohn ist. Ihn hat ein Videosatire in den Knast gebracht.
Der Fünfminutenfilm zeigt eine Pressekonferenz auf dem Haidar-Alijew-Flughafen von Baku. An der Stirnseite eines Konferenztischs hat Adnan Hadschisade Platz genommen, der 26-jährige Autor des Videos – im Eselskostüm: große Ohren, schwarze Kulleraugen, langer Schwanz. Der Esel spricht über seine politischen Pläne und schwärmt davon, wie weit es seinesgleichen in Aserbaidschan bringen kann. Anlass der Groteske: hunderttausende Euro, die im Staatshaushalt für den Import von Zuchteseln verbucht worden sind.
Verschwendung, Korruption und ein Staatsempfang für den Esel – bald brachte es das Video auf mehr als 100.000 Klicks bei YouTube. Wenn Petitionen und diplomatische Interventionen nichts fruchten, dann sitzt Adnan zusammen mit seinem Mitstreiter Emin Milli noch ein Jahr lang im Gefängnis. Offiziell wegen einer Kneipenschlägerei – provoziert von Fremden, kurz nachdem das Eselsvideo online war.
„Die Verhaftung der beiden war ein zweifaches Signal“, sagt Hikmat Hadschisade und zieht an seiner Zigarette. „An die Jugend, dass sie nicht zu weit gehen soll. Und an die internationale Gemeinschaft, dass man sie nicht ernst nimmt. Solange der Westen hier Geschäfte macht, kann man die Menschenrechte ignorieren.“ Jeder vierte Jugendliche will das Land verlassen, das ergab eine Umfrage aus Hadschisades Denkfabrik.
Erkin Gadirli ist einer von denen, die geblieben sind. Auch seine 2.500 Facebook-Freunde, die 6.000 Blogleser und die ungezählten Besucher seiner Jura- und Politikvorlesungen haben sich entschieden zu bleiben. „Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben“, sagt der Rechtsanwalt, der bis vor vier Jahren an der Universität in Baku lehrte. „Das ist angesichts der Verhaftungen und Einschüchterungsversuche vielleicht nicht rational. Aber wir machen Erfahrungen, gewinnen Einsichten und lernen aus den Fehlern, die andere Länder machen. Das ist der Vorteil von Geschichte.“
Alte Leitbilder
Wer weit genug zurückblättert in Aserbaidschans Geschichtsbüchern, findet das Leitbild, nach dem Gadirli und Hadschisade heute streben. 1918 entstand am Kaspischen Meer die erste säkulare Demokratie in der muslimischen Welt, bis zwei Jahre später die Rote Armee einmarschierte. „Wenn das damals möglich war, als das Land viel ärmer und weniger entwickelt war, dann muss es auch heute gehen“, sagt Gadirli. Deshalb hat er vor zwei Jahren den Debattenclub „Republikanische Alternative“ gegründet, der die diskussionsfreudige Jugend von Baku versammelt. Er veröffentlicht seine Analysen im Internet und spricht in den informellen Jugendnetzwerken im Umfeld der Universitäten und Institute über Gesetzestexte, politische Systeme und die republikanischen Ahnen.
„Wenn man etwas verändern will, muss man irgendwann anfangen. Kontakte machen, sich vernetzen“, sagt Gadirli. „Paradoxerweise geht es der Gesellschaft heute besser als vor 15 Jahren, jedenfalls in materieller Hinsicht. Politisch ist das Gegenteil der Fall.“ Der 38-Jährige kann sich an live übertragene Debatten im Fernsehen erinnern, an Oppositionszeitungen mit hohen Auflagen, kontroverse öffentliche Versammlungen. Und heute: alle Sender auf Staatslinie, wachsender Druck auf Journalisten, die Opposition ins Internet verbannt.
Online immerhin ist fast ganz Baku. Ob im Café Mozart, wo junge Bakuer unter goldenen Kronleuchtern vor ihren Laptops sitzen, auf der Dachterrasse des Sultan’s Inn mit dem atemberaubenden Blick auf die Unesco-geschützte Altstadt oder in dem auf eisige Temperaturen heruntergekühlten Sushi-Restaurant, dessen Küchenchef zuletzt für Robert De Niros Sternelokal in London arbeitete: Die Funknetzwerke sind offen und kostenlos. Ein beliebter Treffpunkt im Zentrum heißt „Lebanon“, und vor dessen Nachtleben muss Baku sich kaum verstecken.
Das alles weiß Gadirli zu schätzen. „Es ist toll, am Wochenende zum Brunch zu gehen“, sagt er. Doch je besser es den Menschen gehe, desto weniger würden sie für ihre Rechte eintreten. „Wenn alle von der Korruption profitieren, dann kämpft niemand dagegen. Die Öleinnahmen reduzieren die politische Freiheit.“
Die Fronten in dem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt um die armenisch kontrollierte Exklave Berg-Karabach sind verhärtet, die Gasvorräte im Kaspischen Meer sind unermesslich, und den Europäern scheinen Energiesicherheit und Stabilität wichtiger zu sein als faire Wahlen. Wird also jemals eine neue Generation in den Dom Soviet einziehen? „Das ist ein gradueller Prozess“, sagt Gadirli und fährt sich über das jungenhafte Gesicht. Im Herbst will er bei der Parlamentswahl antreten, als unabhängiger Kandidat – „völlig aussichtslos“, fügt er hinzu. Aber mit einem schlagkräftigen Wahlkampf auf Facebook.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen