: Widersprüche groß wie Felsbrocken
ISLAM In Mehran Tamadons ungewöhnlichem Film „Iranien“ diskutieren religiöse und säkulare Iraner konzentriert und ausgiebig miteinander (Forum)
Mehran Tamadon bereitet sich in seinem Landhaus auf einen Besuch vor. Das Wohnzimmer wird leer geräumt, die Perserteppiche für die Gäste werden ausgerollt. Das Zusammentreffen mit den Freunden des religiös geprägten Staatsapparats soll ein Experiment sein, zwei Tage lang will er offen mit ihnen diskutieren und seine Argumente für eine säkulare Gesellschaft gegen die stellen, die sie ablehnen und im Sinne des Islam bewerten.
Das Landhaus, etwa eine Autostunde von Teheran entfernt, liegt inmitten eines dicht bewachsenen und längst auch überwucherten Obst- und Gemüsegartens, dem anzumerken ist, dass er nur sporadisch beackert wird. Tamadon lebt mit Frau und den zwei kleinen Kindern in Paris, seine Schwestern in den USA und in Schweden. Seine Familie weist die typischen Merkmale einer iranischen Familie auf, die es wegen ihrer regimekritischen Haltung in alle Welt versprengt hat.
Einzeln fahren die Gäste vor, die sich äußerlich von Tamadon, der leger gekleidet ist, deutlich unterscheiden: Sie tragen Bart, Kaftan und Turban und wirken bei allem etwas ehrwürdiger. Später kommen auch die Frauen mit den Kindern dazu; im Laufe des Films werden ihre schwarzen Tschadors das eine oder andere Mal ums Eck wehen.
Die Frauen halten sich in den eigens zugehängten Zimmern auf, essen separat und sind von den Diskussionsrunden grundsätzlich ausgeschlossen. Die Männer lassen sich auf die Teppiche nieder, und von jetzt an wird gesprochen. Was ist unter einer säkularen Gesellschaft zu verstehen? Ein öffentlicher Raum, den sich alle gleichermaßen teilen, erklärt Tamadon. Wenn aber alle gleich frei sind und sich gegenseitig respektieren, wie kann eine Frau, die keinen Schleier trägt, die Gefühle der anderen nicht verletzen? Wie ist dieses Problem zu lösen?
Das viele Reden hilft nicht
Das Problem der Säkularen sei, dass sie Freiheit heucheln, aber Diktatur meinen. Tamadon erklärt, dass er seine Vorstellungen den anderen nicht aufdrängen will, er könne auch die Widersprüche der anderen stehen lassen. Doch damit kann er erst recht nur verlieren. Zwei gegensätzliche Vorstellungen können nicht nebeneinander bestehen bleiben. Freie Wahlen, freie Presse, freies Fernsehen, sämtliche Symbole einer offenen Gesellschaft werden herbeigeführt und prallen doch allesamt an den zeitlosen Gesetzen der Islamischen Republik ab. Denn warum sollte ein Gesetzeswerk, das lange vor unserer Zeit schon Bestand und Gültigkeit hatte, den ständig wechselnden Ideen einer Gesellschaft untergeordnet werden? Runde um Runde schält sich heraus, warum selbst das viele Reden nicht hilft. Sie legen eine weiße Plane zwischen sich aus und verteilen darauf die Bilder von Repräsentanten ihres politischen und kulturellen Lebens, darunter Autoren, Musiker, Philosophen, Künstler. Für die Regimetreuen ist klar, dass jedes Bild zu entfernen ist, sobald auch nur einer von ihnen einen grundsätzlichen Einwand hat.
Am Ende ist die Plane fast leer geräumt. Tamadon versucht alles, den Anblick der Sonne, einen frischen Windhauch, um das Prinzip der Vielfalt geltend zu machen, und verliert doch jedes Mal: Warum er immer wieder Individuelles anbringe, das doch kein Kriterium sei, wird er gefragt. Gelten könne nur, was grundsätzlich ist und von der Mehrheit festgelegt wurde. Die Mehrheit entscheidet, die Minderheit ordnet sich unter.
„Iranien“ von Mehran Tamadon ist ein ungewöhnlicher Film, und in seinem Zentrum zeigt sich ein ungewöhnliches Schauspiel, bei dem sich die Denkfiguren offen zeigen und deutlich machen, warum eine pluralistische Gesellschaft keine Chance hat, solange das Individuelle darin keine Figur ist. Ebenso wenig eine Minderheit, wenn die nur die Unterordnung zur Wahl hat. Die Muster ihres Argumentierens sind durchaus nicht nur auf iranische Verhältnisse zu beschränken, sondern auf alle Orte, wo Denken nur in Grundsätzen und Polaritäten stattfindet. Doch selten erlebt man eine derart kultivierte und disziplinierte Diskussionsführung bei Gegensätzen, die größer und unüberwindbarer nicht sein könnten. Selbst himmelschreiende Argumente, die so hart sind wie Stahl und Beton, vermögen es nicht, den höflichen, freundlichen und auch von Humor und Ironie geprägten Gesprächsverlauf zu stören. Widersprüche, so groß wie Felsbrocken, werden wie Gebetsperlen durch die Finger gezogen.
Scherzende Männergruppe
Mit den Nahaufnahmen ihrer Gesichter rücken einem auch die Männer näher; das zuerst düstere Bild von Fundamentalisten weicht einer scherzenden Männergruppe, von denen der eine schon mal kocht und einen Topf spült, der andere seinen einjährigen Sohn in die Runde nimmt und auf seinem Schoß balanciert.
Dennoch hat, was abstrakt diskutiert wurde, konkrete Folgen. Doch bevor der Regisseur die spüren wird, holt er erst mal die weggesperrte Musik und hört verbotene Frauenstimmen.
MAXI OBEXER
■ 9. 2., Kino Arsenal 1, 14.30 Uhr; 10. 2., Cinemaxx 4, 22 Uhr; 13. 2., Delphi Filmpalast, 18.45 Uhr; 15. 2., CineStar 8, 11 Uhr
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