: Das Kreuz mit der Durchfahrt
Neues Gutachten: Die Niedernfelder Brücken zu renovieren, käme billiger als ein Damm. Sanierte Träger und Fundamente wären aber kurzlebiger als Neubauten. Zustand der Brücken unklar
von GERNOT KNÖDLER
Das Veddeler Wasserkreuz kann gerettet werden. Diesen Schluss legt ein gestern veröffentlichtes Gutachten nahe, das von der Norddeutschen Affinerie, der Handelskammer sowie dem Senat in Auftrag gegeben und von der Affinerie bezahlt wurde. Eine Sanierung der Brücken über die Niedernfelder Durchfahrt wäre demnach billiger, als sie durch einen Damm zu ersetzen. Ein Damm oder kostspielige Neubauten würden demnach aber viel länger halten als die sanierten Brücken. Unklar sei, wie gut diese tatsächlich erhalten sind.
Im Streit um das Wasserkreuz stehen die Sparbemühungen des Senats gegen die Interessenvertreter der Wirtschaft, der Stadtplanung und des Tourismus. Nach Berechnungen der Hafenbehörde Port Authority wäre der Neubau der jeweils zwei Straßen und Eisenbahnbrücken rund zwölf Millionen Euro teurer als ein Damm, der die Niedernfelder Durchfahrt als Wasserweg versperrte. Das geplante Auswanderermuseum auf der Veddel, die Ballinstadt, könnte dann mit Barkassen nur noch über den Reiherstieg und den Spreehafen oder über die Peute angefahren werden, nicht mehr auf direktem Wege via Hansahafen.
Die Barkassenkapitäne halten diese Umwege für unzumutbar. Insbesondere kritisieren sie, dass sich die geplante Museumstour mit Start an den Landungsbrücken und Stopps am Schifffahrtsmuseum Tamm, am Hafenmuseum bei den 50er Schuppen sowie der Ballinstadt nicht rentieren würde. Die Stiftung Hamburg Maritim, die das Hafenmuseum und die Ballinstadt fördert, befürchtet, dass weniger Touristen kommen würden.
Werner Marnette, der Vorstandsvorsitzende der Norddeutschen Affinerie, prophezeite, dass die anliegenden Wasserwege verschlicken und versanden, wenn das Wasser nicht mehr durch die Niedernfelder Durchfahrt strömen kann. Stadtplaner wie auch Vertreter der Stadtteile Wilhelmsburg und Veddel warnten davor, einen Wasserweg zu verbauen, der für die Stadtentwicklung Richtung Süden wichtig werden könnte.
Auch für die nächste Olympia-Planung könnte dieser Wasserweg wichtig sein, sagte Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer. Nachdem ihnen das Gutachten vorgestellt worden sei, hätten Vorstand und Plenum der Kammer dafür plädiert, die Durchfahrt offen zu halten. „Wir sind froh, dass dem Gutachten zufolge die Sparpolitik des Senats und die Stadtentwicklungspolitik keine Gegensätze mehr sind“, so Schmidt-Trenz.
Dass die Gutachter des Büros Leonhardt, Andrä und Partner andere Kosten ermittelt haben als die Fachleute der Port Authority, erklärte Hans-Peter Andrä damit, dass die Port Authority die Kosten nur „auf Grundlage pauschaler Ansätze“ geschätzt habe. Sein Büro habe dagegen fünf verschiedene Alternativen konkret durchgerechnet. Dabei stellte sich heraus, dass ein Damm 9,7 Millionen Euro kosten würde und nicht 6,3 Millionen, wie von der Port Authority geschätzt. Ein Neubau der Brücken würde zwischen 13 und knapp 14 Millionen statt 19 Millionen Euro kosten. Eine Sanierung, die die Port Authority als unwirtschaftlich verwarf, schlüge mit neun Millionen Euro zu Buche.
Vorderhand wäre die Sanierung also die günstigste Lösung. „Es ist relativ unwahrscheinlich, dass sich die Kostendifferenz zwischen Sanierung und Neubau durch neu entdeckte Schäden aufzehren könnte“, sagte Affinerie-Chef Marnette. Doch die sanierten Brücken hielten nur 40 Jahre. Neue Brücken dagegen würden heute auf eine Nutzungsdauer von 80 bis 100 Jahren ausgelegt, sagte der Gutachter Andrä. Die Hochbahn geht Andrä zufolge bei ihren genieteten Stahlbrücken sogar von einer Lebensdauer von bis zu 160 Jahren aus. Nach einer Sanierung müsste die Port Authority pro Jahr 50- bis 100.000 Euro für die Unterhaltung der Brücken aufwenden, so Andrä. Ein Damm dagegen wäre wartungsfrei.
Das Gutachten hat noch einen Haken: Es stützt sich auf das bloße Besehen der Brücken. Wie verrostet sie sind und wie verfault ihre Stützpfähle, müsste – ebenso wie die Wirtschaftlichkeit – mit einem weiteren Gutachten geklärt werden. Das würde 100.000 Euro kosten, eine Summe, die die Affinerie aber nicht auch noch bezahlen will.
Andrä versicherte, die Berechnungen seines Büros unterstellten einen hohen Sanierungsbedarf. „Wir gingen davon aus, dass die Pfähle abgängig sind“, sagte er. Bei einer Sanierung würde sein Büro Beton zwischen die möglicherweise faulenden Holzpfähle spritzen und auf diese Weise ein stabiles Fundament für die Brücken herstellen. Beim stählernen Tragwerk rechneten die Gutachter damit, zehn Prozent der Tonnage ersetzen zu müssen. Da über die Brücken ja heute noch der Verkehr rolle, könnten sie so marode nicht sein, sagte der Ingenieur. Die zum Ausbessern des Tragwerks eingeplante eine Million Euro könnte sich schlimmstenfalls verdoppeln.
Der Senat monierte die zum Teil vagen Formulierungen im Gutachten. Er will das Gutachten von der Port Authority überprüfen lassen und hofft darauf, dass sich die Wirtschaft an eventuellen Mehrkosten des Baus beteiligen wird. Am Ende muss die Bürgerschaft entscheiden.
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