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Natur gegen Intellekt

STADTPLANUNG Der Künstler Arne Schmitt befasst sich mit der Stadt der Nachkriegszeit. Bielefeld und Hannover stellt er als Prototypen einer städtebaulichen Philosophie vor

Straßenkreuzungen wollte Reichow „ausmerzen“, Straßen sollten „stumme Führer durch die Landschaft“ sein

VON ANDRES SCHNELL

Einer unbestätigten Theorie zufolge gibt es Bielefeld gar nicht. Allerdings belegt der Künstler Arne Schmitt jetzt nicht nur die Existenz zumindest eines Bielefelder Stadtteils, sondern auch gleich noch den zweifelhaften ideologischen Gehalt des städtebaulichen Wiederaufbaus nicht nur, aber auch in Bielefeld.

Als es nach 1945 nicht nur galt, den Schutt wegzuräumen, den der verlorene Krieg hinterlassen hatte, sondern auch Wohnraum für Millionen Menschen zu schaffen, war ein Mann mittendrin: Hans-Bernhard Reichow. Zusammen mit Max Säume und Günther Hafemann entwickelte er den Rahmenplan für die Bremer Vahr, in Hamburg arbeitete er an der Wohnsiedlung Hohnerkamp, in Lübeck an der ECA-Wohnsiedlung. Und in Bielefeld war er federführend für den Bebauungsplan der Sennestadt.

Reichows Leitgedanke: die „autogerechte Stadt“, in der Arbeit und Wohnen voneinander getrennt sein sollten, genau wie die Verkehrsflüsse, um des erhöhten Verkehrsaufkommens Herr zu werden. Auch Hochstraßen wie die umstrittene am Bremer Hauptbahnhof sind Ausfluss dieser Gedankenwelt.

Arne Schmitt setzt sich seit einigen Jahren mit dieser Ära der deutschen Stadtentwicklung auseinander. Seit gestern zeigt er in Bremen unter dem Titel „Die autogerechte Stadt. Ein Weg aus dem Begriffs-Chaos“ Arbeiten zum Thema. Der Titel der Ausstellung verweist direkt auf Hans-Bernhard Reichow, der 1959 das Buch „Die autogerechte Stadt. Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos“ veröffentlichte.

Reichow stand mit seinen Vorstellungen einer organischen Stadtplanung in Deutschland aber nicht allein da. In Hannover arbeitete beispielsweise Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht bei der Neugestaltung der Innenstadt zur gleichen Zeit nach ähnlichen Prinzipien, auch wenn er dabei kompromissbereiter als Reichow vorging. Während letzterer auf der „grünen Wiese“ planen konnte, ließ Hillebrecht Hannovers Innenstadt zumindest teilweise stehen, wobei es ihm immerhin gelang, den GrundbesitzerInnen geduldig 15 Prozent ihres Bodens abzuschwatzen.

Arne Schmitts neues Buch, das er zur Finissage seiner Bremer Ausstellung vorstellt, ist ein Foto-Essay über das autogerechte Hannover mit dem Titel „Geräusch einer fernen Brandung“ – ein Foto-Essay wie jenes, das das Kernstück von Schmitts Ausstellung ist: Bilder aus Bielefeld-Sennestadt werden darin mit Zitaten aus Reichows „Autogerechter Stadt“ konfrontiert. In herbstlichen Farben begegnet uns die Siedlung, Ästhetisierung Fehlanzeige. Während die Reichow-Zitate dem eine „naturgemäßen“ Gestaltung der „lediglich intellektuell nachvollziehbaren“ Vorfahrtsregel gegenüberstellen.

Reichows Formulierungen lassen aufmerken: Straßenkreuzungen, an denen laut Statistik 70 Prozent aller Verkehrsunfälle stattfänden, wollte er möglichst „ausmerzen“, Straßen sollten „stumme Führer durch die Landschaft“ sein. Anderes klingt beinahe zeitgemäß: Wenn er vom Menschen spricht, der dem Motorenlärm entfliehen will, scheint das anschlussfähig an die Ideen einer verkehrsberuhigten Stadt, um deren Kern Schnellstraßen den Güterverkehr lenken.

Der nüchterne Duktus von Schmitts Arbeiten lässt dabei umso klarer den ideologischen Gehalt der frühbundesrepublikanischen Stadtplanung hervortreten. Und dessen Verbindungslinien in die NS-Zeit, die auch personeller Natur sind: Reichow und Hillebrecht waren auch schon vor 1945 wohlgelitten.

Hillebrecht beispielsweise koordinierte in den frühen vierziger Jahren im Rahmen seiner Tätigkeit für den Architekten Konstantin Gutschow auch den Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, später war er Mitglied von Albert Speers Wiederaufbaustab. Schmitts Arbeiten verweisen geradezu en passant, alles andere als didaktisch oder moralisierend auf diese Kontinuitäten. Was ihre Relevanz nicht mindert – im Gegenteil.

■  Arne Schmitt: „Die autogerechte Stadt. Wege aus dem Begriffs-Chaos“, bis 16. März, K’ – Zentrum Aktuelle Kunst, Alexanderstr. 9b, Bremen, www.k-strich.de

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