piwik no script img

Für ein paar Euro mehr

Delmenhorst demonstriert und sammelt. Nach der Ankündigung des Nazi-Anwalts Rieger, ein altes Hotel in der City zu kaufen, ruft die Stadt zum „Abwehrkauf“ auf. Und erklärt die Immobilie zum Sanierungsfall. Ob ihr das Einfluss bringt, ist fraglich

von Jan Zier

Es war ein Abend der starken Worte. 1.000, vielleicht 1.500 DelmenhorsterInnen strömten am Montag in das bis über den letzten Sitzplatz gefüllte Veranstaltungszentrum „com.media“. Dicht an dicht standen sie da: Alle Ratsherren waren versammelt, VertreterInnen aller Parteien bis hin zur ÖDP, ein Abgesandter der jüdischen Gemeinde, viele ältere Delmenhorster, dazu die Autonome Antifa und die evangelische Jugend. Alle waren sie gekommen, um sich gemeinsam unter dem Banner „Keine Nazis in Delmenhorst“ zu versammeln.

Der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger, bekennender und wegen Volksverhetzung vorbestrafter Nazi, hat die Stadt in helle Aufregung versetzt. Mit seiner Ankündigung, als Direktor der „Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Limited“ das einstige Hotel am Stadtpark zu kaufen – für 3,4 Millionen Euro. Ein „Schulungshotel“ soll hier entstehen, sagt Rieger. Mitten in der Innenstadt, neben dem Rathaus, in unmittelbarer Nachbarschaft zweier großer Veranstaltungszentren.

Noch gehört die Immobilie dem Ex-Hotelier Günter Mergel, seit einem Jahr steht sie leer, verfällt. Mergel will sie nur noch loswerden – zu jenem Preis. Schließlich hat auch er 1992 6,4 Millionen Mark investiert. An wen er verkauft, ist Mergel nach eigenem Bekunden egal, moralische Skrupel kennt er keine: „Ich verkaufe an jeden.“

In Delmenhorst kann ihn niemand daran hindern, das weiß auch Oberbürgermeister Carsten Schwettmann (CDU). Und dann spricht er von den „Störungen des hart errungenen Friedens“, warnt vor „massiven Polizei-Einsätzen“. Da gelte es, sagt Schwettmann unter Applaus, „Flagge zu zeigen gegen den Rechtsextremismus“, ein „Netzwerk aller Demokraten“ zu bilden.

Dieses Netzwerk soll jetzt das Hotel kaufen, ein „Abwehrkauf“, wie der ehemalige Dörverdener Bürgermeister Heiner Falldorf das nennt. „Das ist sehr lobenswert“, findet er, „sehr teuer – und auf Dauer nicht durchzuhalten.“ SPD-Mann Falldorf hat einige Erfahrung in diesen Dingen gesammelt, seit Rieger in seiner Gemeinde den „Heisenhof“ erstanden hat, ein ehemaliges Bundeswehrareal.

Dem Kollegen Schwettmann erscheint der Abwehrkauf derzeit als Mittel der Wahl. Schon 44 Euro pro DelmenhorsterIn würden genügen, rechnet der Oberbürgermeister vor, um Rieger das marode Hotel vor der Nase wegzuschnappen. „Ich fordere jeden dazu auf, einen solchen Obolus zu entrichten.“ Bis 15. August muss das Geld zusammenkommen, dann soll Rieger den Kaufvertrag unterschreiben.

Die entsprechende Bürgerinitiative dazu gibt es schon. 44.460 Euro sind bis gestern Nachmittag zusammen gekommen, 1,308 Prozent der benötigten Summe, wie die Initiatoren auf ihrer Homepage www.fuer-delmenhorst.de darlegen. Was sie mit der Immobilie anfangen würden, wissen sie nicht. „Von mir aus könnte man das Hotel auch abreißen“, sagte Gerd Renker, einer der beiden Initiatoren der Bürgerinitiative. 3,4 Millionen Euro ist das Haus nicht mehr wert, das weiß auch Renker. „Das ist ein politischer Preis“. Und vielleicht stecke hinter all dem „ein Schwindel“. Doch das ist ihm egal. Er habe einfach mehr tun wollen, als nur irgendwo zu unterschreiben, sagt Renker.

Manch einer zweifelt schon an den Kaufabsichten Riegers. Es wird nicht ausgeschlossen, dass der Anwalt nur als Lockvogel dienen soll. Mergel bestreitet das, hat nach eigenen Angaben erst aus der Zeitung von dem rechten Hintergrund Riegers erfahren.

Selbst Schwettmann schließt mittlerweile ein finanzielles Engagement der Stadt nicht mehr aus. „Gegebenenfalls“ sei auch ein aus städtischen Mitteln unterstützter Ankauf denkbar, sagte er gestern.

Rechtlich sind der Kommune weit gehend die Hände gebunden, zumindest so lange das Haus weiter als Hotel genutzt wird. Allerdings hat die Ratsgemeinde am Montag das Gelände rund um das Hotel einstimmig zum Sanierungsgebiet erklärt. Auf diese Weise, hofft man im Rathaus, könne man „Einfluss auf einzelne Ordnungs- und Baumaßnahmen nehmen“, falls sie dem „Ziel und Zweck der beabsichtigten Sanierung widersprechen“. Doch momentan, gibt Schwettmann zu, „ist das noch sehr vage“.

Fürs Erste geht es darum, Präsenz zu zeigen, den Rechten zu demonstrieren, „dass sie hier massiven Ärger kriegen“, wie es ein Gewerkschaftsfunktionär unter lautem Jubel formuliert. Dafür unterschreiben die DelmenhorsterInnen, 500 Unterschriften sind am Montag binnen einer Stunde zusammengekommen. Dafür protestierten sie hinterher: 2.000 Menschen waren es, sagt die Polizei, 4.000, meinen die Veranstalter. Alle waren sie wieder gekommen. Auch die konservativen Ratsherren zogen durch die Stadt, Seit’ an Seit’ mit vermummten Autonomen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen