: Die Ostseefauna gerät in Atemnot
Die Folgeschäden des heißen Sommers bedrohen ganze Ökosysteme. Am meisten abbekommen hat die Ostsee: Die Blaualgenpest sorgt für Sauerstoffmangel und zerstört ökologische Zonen. Aber auch zu Lande vertrocknen wichtige Projekte
von NICK REIMER
Die große Hitze in Deutschland ist erst einmal vorbei. Aber während sich viele Menschen nun wieder fitter fühlen, werden die dramatischen Folgen des Jahrhundertsommers für die Natur erst nach und nach sichtbar. Experten befürchten schwere Schäden bis hin zum Kollaps ganzer Ökosysteme. Besonders gefährdet ist die Ostsee.
„Nach der langen Hitze entwickeln sich explosionsartig giftige Blaualgen“, sagt Petra Deimer, Meeresbiologin und Vorsitzende der Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere. Die Blaualgeninvasion hat in diesem Sommer schon zu Badeverboten in Seen und zuletzt am Strand von Travemünde geführt. Was für Badende vor allem unangenehm ist, bedroht die Tierwelt existenziell. Denn die Algenteppiche entziehen dem Meerwasser Sauerstoff, ebenso der Abbau der verblühten Algen, die auf den Ostseeboden absinken. „Verheerend“, sagt Biologin Deimer. Schon jetzt seien „fast alle Tiefenzonen der Ostsee ökologisch tot“. Das Binnenmeer hat kaum eine Chance, sich zu regenieren: Sauerstoffhaltiges Salzwasser könnte nur aus anderen Meeren kommen. Doch der durchschnittliche Wasseraustausch der Ostsee dauert 25 bis 35 Jahre.
Blaualgen sind Cyanobakterien. Ihren Namen verdanken sie der giftigen Blausäure, die sie enthalten. Gefärbt sind sie dagegen grell-gelb. Ihr Wachstum wird verstärkt durch in der modernen Landwirtschaft eingesetzte Düngemittel, die über die Flüsse in die Ostsee gelangen.
Die Giftstoffe, die die Alge absondert, können sogar Wasservögel töten. Und auch der Sauerstoffentzug betrifft nicht nur Fische, sondern auch Krebse, Seepocken oder Miesmuscheln, die unter normalen Umständen eine Art reinigende Filterfunktion im Wasser erfüllen. Sie sind derzeit zusätzlich durch die grünbraunen Fadenalgen gefährdet, die einen ähnlichen Wachstumsschub erhalten haben. Sie legen sich wie Tücher über die Muschelbänke und ersticken sie.
Und: Nach einer Algenpest folgt häufig eine Quallenplage. Im Mittelmeer hat sie bereits begonnen. Zu viele Quallen aber fressen zu viele junge Fische und Kleinlebewesen. Sie können damit einem schon wackeligen Ökosystem den Rest geben.
Doch auch zu Land bleibt die Dürre nicht ohne Folge. In Brandenburg beispielsweise vertrockneten großflächig Neuanpflanzungen von Laubwäldern, vor allem junge Eichen und Buchen. „Brandenburg versucht, mit einem ambitionierten Waldumbauprogramm verstärkt Mischwälder entstehen zu lassen“, erklärt Achim Wersin, Sprecher des Brandenburger Umweltministeriums. Die Brandenburger wollen die vielen Monokieferbestände aufbrechen und so das Klima, die Grundwasserbildung und die Widerstandsfähigkeit der Wälder verbessern. Wersin: „Dieser Sommer ist ein schwerer Rückschlag.“
Im letzten besonders heißen Sommer, 2003, wurden in Brandenburg auf einer Fläche von 1.219 Hektar Trockenschäden registriert. In „normalen“ Jahren wie 2004 waren es 37,4 Hektar und 43,5 Hektar. Die abschließende Bilanz für 2006 wird Brandenburgs Landesforstanstalt in Eberswalde zwar erst Ende des Jahres vorlegen. Experten gehen aber davon aus, dass die Schäden rekordverdächtig sind.
Auch dem Wasser „zu Land“ setzte die Hitze zu. So bestätigte das Ministerium, dass die Spree mancherorts tagelang entgegen ihrer eigentlich Strömungsrichtung floss. „Es gab einfach zu wenig Wasser“, sagte Wersin. Ursache des Phänomens seien zu wenig Wasser und Auswaschungen im Flussbett. Die Folgen: Das Wasser enthält weniger Sauerstoff, es fault, Fische und andere Tiere sterben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen