piwik no script img

normalzeitHELMUT HÖGE über Bezirksoffensiven

„Du mein quirliges Zentrum, du allein ...“ (aus dem neuen „Steglitzlied“)

Am Wochenende rundeten wir unseren Botanischen-Garten-Besuch mit einer „Schloss“-Passagen-Durchquerung ab. Dieses neue Einkaufsparadies mit Italoflair zieht die Steglitzer Teenager magisch an. Gleich um die Ecke wurde einst die Wandervogelbewegung begründet, Franz Kafka lebte einige Jahre hier. Heute drängt die lokale Jugend schnurstracks in die Esprit-, HM-, Benetton-, S.-Oliver-, Mexx-, Gerry-Weber- und New-Yorker-Filialen. Und die ausländischen Einkaufsbummler wundern sich: Wo ist denn das Schloss?

Ihnen wird mit den Worten der Betreiber namens H.F.S. geantwortet: Hier – „ein Schloss fürs Volk“. Es eröffnete in diesem Frühjahr, just als der „Palast der Republik“ abgerissen wurde und war der teuerste Steglitzer Neubau seit 1939. Er umklammert das alte Rathaus, das seine Funktion eingebüßt hat, seitdem die berüchtigte Architektin Sigrid Kressmann-Zschach vis à vis ein asbestverseuchtes Hochhaus als neues Rathaus hinklatschte.

Vom „Schloss des Volkes“ aus macht sich das Neue Steglitz breit. In Richtung Schlosspark-Theater wurde bereits der Autohaus-Rundbau aus den 50er-Jahren in ein Terrassencafé umgewandelt und dahinter, an und in der Schwartzschen Villa, machten noch zwei weitere auf. Die „Villa“ wird vom Steglitzer Kulturamt bespielt, ihr Gartencafé ist ein „Zweckbetrieb der Firma Integrationsgesellschaft mbH“. Als wir dort eintraten, feierten gerade die nahe dem Botanischen Garten domizilierten FU-Geographen eine Doktorarbeit. An einem Tisch saßen zwei Jungväter mit schlafenden Säuglingen auf dem Schoß – und wussten noch nicht so richtig, was sie davon halten sollten.

An einem anderen Tisch zeigte eine Geographin als Primus inter Powerpointpräsentantin zwei Kommilitonen ihre letzte Mongolei-Exkursion auf dem Labtop. Die FU-Geographen hatten früher ein Übungsgelände im Tschad. Als der Bürgerkrieg losging, kartographierten die Studenten für die Rebellen; die Professoren, die sogar ein Institutskamel besaßen, hingegen für die Regierung. Heute arbeiten beide Gruppen lieber für das an Drittmitteln reiche Zentralasien.

Die FU-Geographen haben aber auch in Berlin gewirkt: Sie gingen oft und gerne in den Botanischen Garten, wo sie langsam mitbekamen, dass diese „Oase in der Großstadt“ täglich mit Pestiziden und Herbiziden eingenebelt wird, damit die sensiblen Exoten nicht den Angriffen der hartgesottenen Berliner Schadinsekten erliegen.

Indem die Geographiestudenten sozusagen den Ökologiegedanken mit einbrachten, setzt sich dort seit einigen Jahren langsam der integrierte Pflanzenschutz durch – dergestalt, dass der Botanische Garten mehr und mehr zu einem Zoo wird, indem man in den Gewächshäusern nun gleichfalls exotische Insektenfresser aussetzt: chinesische Kröten, chilenische Eidechsen, afrikanische Vögel usw. Draußen spielen – gegen die Mäuse – halbzahme Füchse auf der Wiese.

Zurück zur „Schloss“-Passage, wo ein „Australisches Wochenende“ anlag: Die Kinder konnten sich im Tiefparterre unter Anleitung eines Aboriginekünstlers schminken, während die Eltern im Erdgeschoss auf Liegestühlen Caipirinha tranken und sich von den fremden Klängen der Gruppen Koomuri, Jambzi und Didges Brew in Urlaubsstimmung bringen ließen. Alle Einkaufscentren der Stadt werben an den Schnupperwochenenden mit einem Kulturprogramm. Im „Schloss“ gibt es dafür überall bequeme Fauteuils unter falschen Palmen und jede Menge Cafétische. Darüber hinaus hat sich auch die Schlossstraße davor von einer ehemaligen „Schuhstraße“ zu einer „Caféstraße“ gemausert, wie der SPD-Wirtschaftsstadtrat meint.

Für die aus Teltow und Babelsberg zum Einkaufen nach Steglitz Fahrenden ist das „Berlin“ (ohne Parkraumnot) – und tatsächlich sehen die „Balzac Coffee“- und „Starbucks“-Filialen dort am Rand auch genauso aus wie in der Mitte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen