Öffnung eines Spielraums

FOTOFILM Die Fotografie verbindet man mit dem stehenden Bild. Dem gegenüber steht eine selten beachtete, aber reizvolle Kunstform: der Fotofilm

„Es geht um die Gestaltbarkeit von Leben“

SIEGFRIED ZIELINSKI

Es ist der Gegensatz und das Miteinander von Bewegung und Konzentration, der Künstler reizt, Fotofilme zu gestalten. Sie stehen zwischen den Medien. So bekannte Künstler wie Chris Marker, Leonore Mau und Hubert Fichte oder Elfi Mikesch haben in der Vergangenheit aus Fotografien erzählerische Filme gestaltet. Doch auch jüngere Künstler beschäftigen sich mit dem hybriden Medium.

„Viva Fotofilm – Bewegt/unbewegt“ stellt neue Arbeiten vor, aber auch klassische Fotofilme wie etwa „La Jetée“ von Chris Marker aus dem Jahr 1962 – ein Science-Fiction-Band, der aus überblendeten Fotografien besteht. Alain Resnais erzählte im Jahr 1948 Van Goghs Leben ausschließlich mit dem Abfilmen seiner Gemälde, genauer: mit Schwarzweißfotografien seiner Gemälde. Wundervoll etwa auch „Der Fischmarkt und die Fische“ von 1968 – ein Fotofilm über den Alltag in dem portugiesischen Fischerdorf Sesimbra während der Salazar-Diktatur.

Der Band versammelt Gespräche, Bilder und Texte aus und über aktuelle und historische Fotofilme und zeigt Verbindungen und Schnittstellen der Medien, die eigentlich unterschiedlich sind: Fotografie ist Dokument, Film beflügelt die Fantasie durch die Schönheit bewegter Bilder. Im Fotofilm vereinigen sich die beiden Medien zu etwas Neuem. In „Salut Les Cubains“ schafft es Agnès Varda zum Beispiel, 1.500 Fotografien einer Kuba-Reise zu einer lebendigen Reiseerzählung zu verknüpfen, die Michel Piccoli und Varda selbst kommentierten.

Neuere Fotofilme wie Katja Pratschkes und Gusztáv Hámos’ „Fremdkörper“, Sabine Höpfners „Hybrid And Superimposition“ oder Franz Winzentsens „Der Besenbinder, der Fotograf und der Koch“ zeigen, wie lebendig das Genre heute ist.

„Es geht hier um die Öffnung eines Spielraums und die Gestaltbarkeit von Leben. Im künstlerischen Sinne kann man das als ‚gestaltbarer Raum‘, als Zeitraum denken“, schreibt Medienwissenschaftler Siegfried Zielinski. „Das zeichnet den Fotofilm in einer besonderen Weise aus: Dieser Potencial Space, der mögliche Raum also zwischen den Bildern, wird im Fotofilm zelebriert und bekommt eine Entfaltungsmöglichkeit.“ Diesen Spielraum haben auch Hubert Fichte und Leonore Mau in einigen Fotofilmen genutzt. Einer von ihnen ist „Der Tag eines unständigen Hafenarbeiters“ von 1966, der durch drei echte Filmsequenzen unterbrochen wird und den Tagesablauf eines Lohnarbeiters schildert.

Ein spannendes Buch für alle, die sich für Experimentalkino, Fotoavantgarde, Intermedialität und Medienkunst interessieren.

MARC PESCHKE

■ Katja Pratschke, Gusztáv Hámos und Thomas Tode (Hrsg.): „Viva Fotofilm – Bewegt/unbewegt“. Schüren Verlag, 2009, 368 Seiten, broschiert, 29,90 Euro