: Forschen mit dem Faxgerät
Die geplante Änderung des Urheberrechtsgesetzes stellt die Wissenschaft vor eine ungewisse Zukunft. NRW-Unis beklagen, sie würden „in die Steinzeit zurück gebeten“
Welche Aufgabe hat Wissenschaft? Genau. Sie soll „Wissen schaffen“. Doch diese Aufgabe sehen Wissenschaftler aus NRW jetzt durch die geplante Novellierung des Urheberrechts gefährdet. Anlass für die Änderungen ist eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001, durch die die Position der Verlage und Urheber besser geschützt werden soll. Wissenschaftlern würde damit zum Beispiel verboten, Zeitschriftenartikel per Internet an ihrem Arbeitsplatz zu lesen. Darüber hinaus soll der Versand von elektronischen Kopien nach Meinung des Gesetzgebers dem Markt und seinen Preisen überlassen werden. Weiterhin dürften digitale Texte für Lehre und Forschung dann nicht mehr ins Internet gestellt werden.
Nordrhein-Westfalen mit seinen 58 Hochschulen trifft es besonders hart. „Die Forschungs- und Studienbedingungen an Hochschulen werden dadurch stark erschwert“, sagt Eberhard Becker, Rektor der Universität Dortmund. Und Norbert Lossau, Bibliotheksdirektor der Uni Bielefeld, beklagt: „Die Bundesregierung geht weit über die Richtlinie hinaus.“ Er befürchtet weitreichende Konsequenzen. „So wird der Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland gegenüber anderen Ländern ins Hintertreffen geraten.“
Bis zum Jahresende ist es noch erlaubt, Zeitschriften und Lehrmaterialien für eine begrenzte Gruppe ins Netz zu stellen. Forschung und Lehre können so mit wenig Zeitaufwand Informationen austauschen. Doch mit Beginn des nächsten Jahres soll das verboten sein. Aktionsbündnisse wie die „Göttinger Erklärung“, in der sich Bibliotheken und Hochschulen zusammengeschlossen haben, wollen die Befristung über 2006 hinaus ausweiten. „Die beste Lösung wäre es, die freie Zugänglichkeit zu einer dauerhaften Regelung zu machen“, sagt Albert Bilo, Bibliotheksdirektor der Uni Duisburg-Essen.
Die Reform hätte auch für das tägliche Arbeiten selbst dramatische Konsequenzen. Denn den Forschern wäre es dann verboten, wissenschaftliche Artikel am eigenen Computer einzusehen. Lediglich Bibliotheken, Museen und Archive dürften dann elektronische Leseplätze zur digitalen Literaturnutzung aufstellen. Somit müsste jeder Forscher zur Lektüre eines Artikels im Bedarfsfall die Bibliothek aufsuchen. Diese wiederum kann nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung stellen.
Wartezeiten und überfüllte Bibliotheken sind programmiert. „Die Möglichkeiten, die die Elektronik bietet, kämen nicht zur Geltung“, verdeutlicht Lossau. Dies widerspräche allen ökonomischen Arbeitsprinzipien. Ferner soll die bisherige Form des elektronischen Kopienversandes neu organisiert werden. Bisher können Textkopien für einen geringen Betrag zwischen den Bibliotheken und Instituten per E-Mail versendet werden. Das neue Gesetz würde den Versand auf Post und Telefax begrenzen.
Zumindest sofern die Verlage selbst elektronische Angebote haben, sollen sie keine billige Konkurrenz durch Bibliothekskopien fürchten müssen. „So werden wir in die Steinzeit zurückgebeten“, kritisiert Bilo. Auch finanziell sei das ein Problem, weil die Verlage für elektronische Publikationen 30 Euro und mehr verlangen können. „Das ist verheerend für uns“, beklagt Josef Rosenkranz, Dekan des Fachbereichs Luft- und Raumfahrttechnik an der Fachhochschule Aachen.
Obwohl Wissenschaftler nicht nur Nutzer, sondern auch Urheber von Büchern und Artikeln sind, plädieren sie daher für den freien Zugang. „Man sollte die Informationsfreiheit über das Urheberrecht stellen“, sagt Rosenkranz. Ob die Regierung ihre Haltung ändert, bleibt fraglich. Trotz der Forderung des Bundesrates nach einer wissenschaftsfreundlicheren Ausgestaltung, insbesondere der Zeitschriftennutzung am eigenen Computer, beharrt die Bundesregierung im wesentlichen auf ihrem Entwurf. MATTHIAS HENDORF
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