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MARTIN KAUL ÜBER DIE GEMEINSAME DEMO VON ANTIFA UND FDPDer Ruf nach Freiheit

Aha: Die allerneueste schwarz-gelbe Koalition besteht aus Antifa und FDP. Gemeinsam gingen am Wochenende der schwarze Block und gelbe Jungliberale für die „Freiheit“ auf die Straße. Erst Ende letzter Woche gründete sich in Berlin eine rechtspopulistische Partei, deren Mitglieder aus der CDU und der Piratenpartei (!) stammen. Ihr Name: „Die Freiheit“.

Der Freiheitsbegriff ist zum Kassenschlager des Dagegenseins geworden. Doch: Wenn all die liberalen Staatsfeinde nicht aufpassen, dann wird ihr neues Lieblingswort flugs zu einem Megaflop. Die Widerentdeckung des Freiheitsbegriffs sagt viel über deutsche Zustände aus – und sie ist mit Vorsicht zu genießen.

Zunächst: In den unterschiedlichsten politischen Lagern wächst die Distanz zum Staat – für die einen ist er ein Repressionsapparat, für die anderen ein Gefährder der liberalen Wirtschaftsordnung, und für die Dritten unterstützt er ein multikulturelles Angstszenario. Wenn heute pathetisch nach Freiheit gerufen wird, so ist dies ein Signal, das die Distanz zwischen den Menschen und der herrschenden Ordnung offenbart. Und es ist ein Signal für eine wahrgenommene Unfreiheit.

Das Gute daran ist: Dieses Gefühl bietet die Möglichkeit einer Auflehnung, einer kollektiven Politisierung, wie sie bei Bürgern in Stuttgart zu beobachten ist. Das Schlechte hingegen: Wenn neoliberale Turbokapitalisten, traditionalistische Antikapitalisten und Rechtspopulisten sich unter demselben Begriff versammeln, wird aus dem emanzipatorischen Konzept eine pathetische Leerformel. Deshalb ist die Voraussetzung von Freiheitskämpfen, dass sie differenziert zu führen sind. Wer morgen noch für die Freiheit des Andersdenkenden kämpfen will, muss sich heute auch die Freiheit vom Andersdenken bewahren. Das gilt für die Antifa wie für die FDP.

Inland SEITE 7

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