: Neonaziaufmärsche verbieten?
JA
Die Aufmärsche der braunen Horden von NPD bis zu den „Freien Kameradschaften“ häufen sich – auch in NRW. Was sollte der Staat dagegen unternehmen: die Demonstrationen verbieten?
Die Nazi-Aufmärsche sollten verboten werden. Dazu sind keine Gesetzesverschärfungen nötig. Bei den Aufmärschen wird Volksverhetzung betrieben, oft zählen verurteilte Gewalttäter zu den Anmeldern.
Die Faschisten marschieren häufig durch Stadtteile mit hohem Migranten-Anteil. Nahezu jeder Aufmarsch wird von massiven Protesten von Anwohnern und Antifaschisten begleitet. Die rechten Demos können nur stattfinden, weil die Polizei ganze Stadtteile abriegelt.
Wenn bei den staatlichen Institutionen der Wille vorhanden wäre, jede Möglichkeit zu nutzen, die Aufmärsche zu untersagen, würden diese nicht stattfinden. Das Verhalten der staatlichen Stellen lässt hingegen den Verdacht aufkommen, dass ihnen nicht an der Ausschöpfung aller Mittel gelegen ist. Der Ablauf ist immer gleich: erst verbietet die zuständige Polizeibehörde, dann geht es vor Gericht, am Ende erlaubt ein Verwaltungs- oder Oberverwaltungsgericht den rechten Aufmarsch – egal, ob die Nazis ihre Hetze gut oder kaum tarnen.
Auch die Polizeiführung vor Ort nutzt selten den Spielraum: angesichts massiver Gegenwehr könnte sie argumentieren, dass der Aufmarsch nicht durchsetzbar ist. Stattdessen gehen Polizeikräfte oft rabiat gegen Anwohner und Antifaschisten vor. Es scheint, als wären die Nazi-Aufmärsche eine gute Gelegenheit für den Staat, die Polizei in Übung zu halten, und der Linken zu demonstrieren, wer das Sagen hat.
Es fehlt nicht an den rechtlichen Möglichkeiten, die Nazi-Aufmärsche zu verbieten, sondern am politischen Willen. Nun mag es sein, dass die Provokationen der Rechten irgendwann selbst den etablierten Parteien und den staatlichen Institutionen zu weit gehen und auch mal Aufmärsche verboten werden. Doch der vom damaligen Kanzler Schröder ausgerufene “Aufstand der Anständigen“ im Jahr 2000 war nur eine Show. Für kurze Zeit wurden rechte Aufmärsche untersagt, dann galt wieder „business as usual“. Das NPD-Verbot wurde vermasselt, teils gezielt, teils aus Inkompetenz.
Die Linke sollte auf die Forderung nach einem Verbot der Aufmärsche nicht verzichten. Wichtiger ist allerdings die Mobilisierung zu Gegendemonstrationen. Bei der Gegenwehr gegen die Nazis können wir uns nicht auf den Staat, sondern nur auf uns selbst verlassen. Teilweise waren die Aktionen erfolgreich. Vor allem in Leipzig konnten mehrfach rechte Aufmärsche gestoppt werden, weil der Widerstand zahlenmäßig stark und entschlossen war.
Wenn der gute alte Slogan „Samstag frei für die Polizei“ verwirklicht würde, bräuchten die Aufmärsche nicht einmal verboten werden. Dann könnte die Angelegenheit bürgernah erledigt werden. Die Nazis könnten keine einzige Demonstration in NRW durchführen, sondern würden mit Schimpf und Schande weggejagt. Dabei würde es wohl friedlicher zugehen als jetzt. Die von der Polizei eingeführten Innovationen wie „Nazis ohne Stiefel“ und „Zeig her deinen Ausweis“ würden von den Antifaschisten enthusiastisch und diszipliniert umgesetzt werden.
CLAUS LUDWIG
NEIN
Schwer zu ertragen sind die allwöchentlichen Aufmärsche alter und neuer Nazis. Schockierender sind die Meldungen über die in manchen Regionen alltäglich gewordene Gewalt von Rassisten und Faschisten gegen alles, was sie als anders und undeutsch brandmarken. Beides ist jedoch rechtlich und in seinen Konsequenzen getrennt zu beurteilen.
Um das, was NPD-Anhänger und Gleichgesinnte denken und sagen, sanktionieren zu können, sind schon mehrmals Gesetze geändert worden. Zuletzt wurde am 11. März 2005 die Möglichkeit geschaffen, Orte vom Recht auf Versammlungsfreiheit auszunehmen. Zugleich wurde eine Strafrechtsnorm ausgedehnt (§ 130 StGB). Seitdem ist auch die Verherrlichung der NS-Gewaltherrschaft als Volksverhetzung verboten. Je ausgedehnter und gleichzeitig unspezifizierter die Strafrechtsnormen werden, desto deutlicher wird, dass es um das Verbot von Gesinnung geht, nicht um den Schutz von konkreten Personen und Opfergruppen. Solche Strafrechtsnormen sind entweder leicht zu umgehen oder sie operieren mit so unbestimmten Begriffen, dass sie die Meinungsfreiheit insgesamt beschädigen. In der Folge testen neue und alte Nazis, an welchen Orten, zu welchen Zeiten, mit welchen Parolen Versammlungen doch noch möglich sind. Bis eine nächste Runde der Verbotsausweitung eingeläutet ist.
Verbote und Einschränkungen der Freiheitsrechte sind jedoch die grundlegend falsche Antwort auf Provokationen. Ja, auch die Feinde der Freiheit nehmen Freiheit in Anspruch. Eine Gesellschaft, die deshalb die Grundrechte einschränkt, spielt jedoch den Antidemokraten in die Hände. So wie Gewalt durch Gegengewalt eher geschürt als beseitigt wird, kann auch Freiheit nicht durch ihre Einschränkung geschützt werden. Noch mit dem Angriff auf Demokratie und Menschenrechte muss eine offene Gesellschaft demokratisch-menschenrechtlich umgehen.
Das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis zu versammeln, ist eines der zentralen politischen Freiheitsrechte. Gerade Minderheiten nehmen dieses Grundrecht in Anspruch und sind auf dessen Schutz angewiesen. Schon jetzt dienen Versammlungsgesetz, Polizei- oder Gefahrenabwehrgesetze vor allem der Einschränkung der Ausdrucksfreiheit und der Ausdehnung polizeilicher Kontroll- und Eingriffsrechte. Das Bundesverfassungsgericht hat in einigen einschlägigen Entscheidungen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gestärkt. Trotzdem ist in der alltäglichen Praxis die all zu großzügige Einschränkung des Demonstrationsrechts zu beklagen. Demonstrationen werden verboten. Der Zugang zu Versammlungen wird polizeilich kontrolliert, Versammlungen werden mit Video überwacht, Teilnehmende werden eingekesselt, rechtswidrig in Gewahrsam genommen...
Demokratisch notwendig und die Freiheit schützend sind die Proteste gegen rechte Aufmärsche und der öffentliche Streit um Demokratie. Mit den Protesten wird jedoch häufig antidemokratisch umgegangen. Gegendemonstrationen werden verboten, diejenigen, die zum Protest aufrufen, werden strafrechtlich verfolgt. Das Tragen von Anti-Nazi-Abzeichen wird strafrechtlich verfolgt. Die mangelnde politische und finanzielle Unterstützung derjenigen Gruppen und Einzelnen, die sich dem braunen Terror entgegenstellen und Hilfe anbieten, ist die Kehrseite dieses Rufs nach Ruhe und Ordnung.
ELKE STEVEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen