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Ein Sieg für die Meinungsfreiheit

Die türkische Schriftstellerin Elif Șafak, die wegen „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt war, wird freigesprochen. Doch ob die Regierung dem Druck der EU nachgibt und den Beleidigungsparagrafen aus dem Strafgesetzbuch streicht, ist fraglich

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Mit einem überraschend schnellen Freispruch endete gestern in Istanbul ein Prozess gegen die Schriftstellerin Elif Șafak, die angeklagt war, mit ihrem letzten Roman „Der Bastard von Istanbul“ „das Türkentum“ beleidigt zu haben. Mit einem bis dato nie da gewesenen Polizeiaufgebot bei einer Gerichtsverhandlung reagierten die Sicherheitsbehörden auf Ankündigungen nationalistischer Organisationen, man werde vor Gericht gegen Elif Șafak und andere „Verräter am Türkentum“ protestieren.

Um Tumulte wie noch bei dem Prozess gegen Orhan Pamuk im vergangenen Jahr zu vermeiden, wurden Prozessbesucher nur nach strengen Kontrollen durchgelassen. Trotzdem kam es nach dem Verfahren vor den Polizeiabsperrungen zu einem Handgemenge, als organisierte Nationalisten über vermeintliche Anhänger der Schriftstellerin herfielen.

Elif Șafak war von Mitgliedern einer nationalistischen Juristenvereinigung angezeigt worden, weil eine ihrer Romanfiguren den Völkermord an den Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts beklagt. In seiner Urteilsbegründung sagte der Richter, wenn man das Buch, das zunächst in den USA erschienen war, bevor es jetzt in der Türkei publiziert wurde, insgesamt würdige, könne von einer Beleidigung des Türkentums im Sinne des Strafrechtsparagrafen 301 nicht die Rede sein. Dieser Paragraf, der seit Einführung des neuen Strafgesetzbuches im Frühjahr 2005 immer wieder Grundlage für Prozesse gegen Schriftsteller und Journalisten ist, wird von der EU-Kommission mittlerweile als ernste Bedrohung der Meinungsfreiheit in der Türkei angesehen.

Joost Lagendijk, Abgeordneter des Europäischen Parlaments und dort einer der Vorsitzenden der europäisch-türkischen Parlamentskommission, war als Prozessbeobachter anwesend und begrüßte den Freispruch. „Ich hoffe“, sagte er gegenüber der taz, „dass diese unsinnige Anklage gegen Elif Șafak dazu beitragen wird, dass das türkische Parlament endlich so strittige und fast beliebig anwendbare Straftatbestände wie Beleidigung des Türkentums streicht. Der Schaden, den solche Prozesse für die freie Debatte in der Gesellschaft und das türkische Ansehen im Ausland anrichten, ist immens, selbst wenn die Angeklagten zuletzt freigesprochen werden.“ Elif Șafak, die vor vier Tagen ein Kind zur Welt brachte und deshalb nicht zum Prozess kommen konnte, sagte anschließend, sie sei froh über das Urteil, das ein Sieg für die Meinungsfreiheit sei. Vor der Verhandlung hatte sie gesagt, falls sie verurteilt würde, könne man in der Türkei bald kein Buch mehr schreiben und keinen Film drehen, ohne Gefahr zu laufen, dafür angeklagt zu werden.

Innerhalb der türkischen Regierung gibt es einen heftigen Streit über eine Änderung des strittigen Gesetzes. Außenminister Abdullah Gül und Wirtschaftsminister Ali Babacan, der gleichzeitig die Verhandlungen mit der EU leitet, drängen auf eine Streichung möglichst noch vor dem neuen EU-Fortschrittsbericht im November. Demgegenüber streitet der zuständige Justizminister Cemil Çiçek, übrigens mit Unterstützung der oppositionellen Kemalisten, für die Beibehaltung der Regelung.

Nach Auffassung von Lagendijk wäre eine Verbesserung beim Schutz der Meinungsfreiheit aber gerade im Zusammenhang mit den anderen Problemen, die die Türkei mit der EU hat, wichtig. „Zur Vermeidung einer ernsten Krise wäre es hilfreich, wenn die Türkei wenigstens in diesem Bereich Reformbereitschaft zeigen würde“, sagte Lagendijk.

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