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Unfall? Welcher Unfall?

Die Bundesregierung glaubt, dass die Leukämiefälle in der Elbmarsch natürliche Ursachen hatten. Für einen Atomunfall gebe es keine Belege, einen Strahlenalarm im AKW Krümmel habe es nicht gegeben

Die Bundesregierung kann sich angeblich keinen Reim darauf machen, warum in der Elbmarsch in den vergangenen 15 Jahren so viele Leukämiefälle aufgetreten sind. „Bisher konnte keine Ursache nachgewiesen werden“, heißt es in der vorab bekannt gewordenen Antwort auf eine Parlamentsanfrage der Linkspartei.PDS. Seit Anfang der 1990er Jahre sind in der Elbmarsch 16 Kinder und junge Erwachsene an Leukämie erkrankt, vier Menschen starben bislang daran. Eine so hohe Rate gilt als weltweit einmalig.

Eine zusätzliche Strahlenbelastung durch das Atomkraftwerk Krümmel oder das benachbarte Forschungszentrum GKSS scheidet nach Ansicht der Bundesregierung als Verursacher der Leukämie aus. „Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Belege für eine nicht natürliche Ursache“, heißt es. In ihrem Urteil stützt sich die Regierung auf den Abschlussbericht der Niedersächsischen Expertenkommission. Das Gremium war 2004 zu dem Schluss gelangt, „dass die beobachtete Häufung der kindlichen Leukämien im Umfeld der Nuklearanlagen von Geesthacht nicht durch bekannte Ursachen erklärt werden kann“.

Viele Fachleute, darunter auch sechs von acht Mitgliedern der vom Land Schleswig-Holstein eingesetzten Untersuchungskommission, sind zu anderen Schlüssen gelangt. Ihrer Ansicht nach deuten die in der Umgebung der Atomanlagen entdeckten radioaktiven Substanzen klar auf eine künstliche Quelle hin. „Seit Jahren finden Wissenschaftler Reste von Kernbrennstoff in Bodenproben in der Nähe der Geesthachter Atomanlagen“, sagt der niedersächsische SPD-Landtagsabgeordnete Uwe Harden, der gleichzeitig Sprecher der Initiative „Bürger gegen Leukämie in der Elbmarsch“ ist.

Nach Überzeugung von Atomkraftgegnern muss es am 12. September 1986 im GKSS-Forschungszentrum einen schweren kerntechnischen Unfall gegeben haben, bei dem diese Stoffe freigesetzt wurden. Die Umweltschützer berufen sich auf Berichte von Augenzeugen, die damals „blaue und grüne Flammen“ beobachteten, sowie einen am fraglichen Tag ausgelösten Strahlenalarm im Atomkraftwerk Krümmel. Eine kürzlich vom ZDF ausgestrahlte Fernsehdokumentationen bestätigt diese Darstellung – anders als die Feuerwehr Geesthacht: Alle Einsatzprotokolle von September 1986 seien bei einem Brand „im Aktenschrank der Feuerwache“ vernichtet worden.

Die Bundesregierung bestreitet einen Atomunfall am fraglichen Tag. Von den zwölf „meldepflichtigen Ereignissen“ 1986 im AKW Krümmel habe sich keines am oder kurz vor dem 12. September ereignet. Und von der GKSS gebe es für das ganze Jahr keine Meldungen. Immerhin räumt die Regierung ein, dass bei der GKSS damals „Reaktorsicherheitsforschung“ betrieben wurde. So seien unter anderem „Arbeiten zur Notkühlung“ und zur „Sicherheit für Schnelle Brutreaktoren“ durchgeführt worden.

REIMAR PAUL

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