: Fast zwei Drittel bleiben weg
Das Interesse an den kommunalen Stichwahlen in Niedersachsen ist erschreckend gering. Die Farben der Rathauschefs wechseln in Oldenburg, Salzgitter, Göttingen und Delmenhorst. In Leer erreicht Rechtspopulist Gerd Koch über 30 Prozent
von KAI SCHÖNEBERG
Alles Gewinner: Von einem „absoluten Sensationssieg“ in Oldenburg sprach Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff noch am Wahlabend, „allen Grund, mit dem Tag zufrieden zu sein“, hatte auch Oppositionsführer Wolfgang Jüttner (SPD) nach dem Ende der 82 Stichwahlen um die Ämter von Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten in Niedersachsen. Dabei hatte der Wähler der Politik erneut mit Mehrheit die rote Karte gezeigt: durch Boykott.
Etwa 65 Prozent der Berechtigten gingen gar nicht erst wählen, vier Prozent mehr als bei den Stechen vor fünf Jahren. Bereits beim ersten Durchgang vor zwei Wochen hatten nur 51,8 Prozent der 6,4 Millionen Berechtigten ihre Kreuzchen gemacht, so wenige wie nie seit Beginn der Statistik im Jahr 1952 – damals waren noch vier von fünf Niedersachsen zur Kommunalwahl gegangen. Immerhin: Am Sonntag waren die Borkumer Insulaner mit 79,6 Prozent Wahlbeteiligung die besten Demokraten.
Mit 50,9 Prozent der Stimmen siegte in Oldenburg der parteilose CDU-Kandidat Gerd Schwandner gegen den seit fünf Jahren amtierenden SPD-OB Dietmar Schütz. Schwandner (siehe Interview) kündigte gestern an, künftig im Rat mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Wegen des Streits um den Bau einer Shopping-Mall hatten die Grünen zur Wahl Schwandners aufgerufen. Auch in der SPD-Hochburg Salzgitter ist künftig ein Christdemokrat Chef im Rathaus: Amtsinhaber Helmut Knebel (SPD) zog gegen CDU-Kandidat Frank Klingebiel den Kürzeren.
Die SPD eroberte dafür die Rathäuser in Delmenhorst, Hameln und Northeim zurück. In Göttingen holte der SPD-Bewerber Wolfgang Meyer sogar 68,9 Prozent der Stimmen, Daniel Helberg (CDU) kam nur auf 31,1 Prozent. Meyer löst CDU-OB Jürgen Danielowski ab, der nicht mehr antrat.
Die Region Hannover, die mit 1,1 Millionen mehr Einwohner hat als das Saarland, bleibt in SPD-Hand. Nachfolger von Regionspräsident Michael Arndt wird Hauke Jagau. Der bisherige Bürgermeister von Laatzen holte im Stechen 58,5 Prozent der Stimmen und besiegte damit Max Matthiesen von der CDU. Die Wahlbeteiligung lag hier bei nur 27,7 Prozent. Auch Osnabrück bleibt sozialdemokratisch: SPD-Kandidat Boris Pistorius kam auf 55,5 Prozent und wird damit Nachfolger von OB Hans-Jürgen Fip (SPD). Wolfgang Griesert (CDU) erreichte 44,5 Prozent.
Im ostfriesischen Leer erreichte der unabhängige Rechtspopulist Gerd Koch (taz berichtete) immerhin 30,6 Prozent oder gut 3.800 Stimmen. Obwohl Koch wegen rechtsextremer Ausfälle gegen Sinti und Roma als Volksverhetzer verurteilt worden war, konnte sich die CDU nicht zu einer Wahlempfehlung für den amtierenden parteilosen Bürgermeister Wolfgang Kellner durchringen. Kellner bekam dennoch 69,2 Prozent der Stimmen.
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