: „Doch, sie lächeln. Alle“
GESCHÖPFE Das Fotografenpaar Mahler hat in Europa besondere Mädchen gefunden – die „Monalisen der Vorstädte“
■ Das Projekt: Nicht mehr Dorf, noch nicht Stadt – dort haben Ute und Werner Mahler fotografiert. Kein Kind mehr, aber noch keine Frau – so sollten die Modelle sein. Die „Monalisen der Vorstädte“ entstanden in Liverpool, Minsk, Reykjavík und Florenz.
■ Die Fotografin: Ute Mahler, 60, hat Anfang der Siebzigerjahre Fotografie in Leipzig studiert. Bis 1990 war sie freie Fotografin mit Schwerpunkt Porträt- und Modefotografie. Die Gründerin der Agentur Ostkreuz ist Professorin für Fotografie in Hamburg.
■ Der Fotograf: Werner Mahler, 60, hat in Leipzig Fotografie studiert und danach als Freiberufler gearbeitet. 1990 Gründung von Ostkreuz – Agentur der Fotografen, 2004 Gründung der Ostkreuz-Fotoschule. Mit seiner Frau Ute lebt er in Lehnitz bei Berlin.
VON ANJA MAIER
Sie sind durch Europa gefahren, die Mahlers, mit einer Plattenkamera und diesem seltsamen Stuhl. Ein Hocker ohne Lehne, aber mit einer Stütze für den Kopf des Modells. Ein unheimliches Möbel, das das Fotografenpaar vor Stadtlandschaften stellte, auf Parkplätze, vor Plattenbauten und die verrammelten Fassaden von Liverpool. An Stadtränder, in die Beunruhigung der Vorstädte, den Transit, wo es, wie der Fotograf Werner Mahler sagt, „keinen harmonischen Hintergrund gibt“. Erst dann, wenn der Raum fertig war, suchten sie nach den Modellen. Sie luden junge, vorbeikommende Frauen aus Reykjavík und Minsk, aus Liverpool und Florenz ein, sich fotografieren zu lassen. Und sie nannten sie „Monalisen der Vorstädte“.
Es sind berührende Fotos geworden, die Ute und Werner Mahler von Europas jungen Städterinnen gemacht haben. Bilder wie das der Isländerin Adda Sofia, die aus hellen Augen unter dunklem Pony abwartend zurückschaut. Oder Jessica aus Liverpool, die ihre weichen Hände ineinander legt und aus diesem ganz jungen Gesicht blickt, hell und versunken, im blonden Haar eine Seerose. Oder die Florentinerin Giulia, die sich ihre Kapuze über den Kopf gezogen hat und blickt, als würde sie gleich leise zu singen anfangen, während hinter ihr Kräne den Horizont zersägen.
Anders als das Vorbild, die Mona Lisa des Italieners Leonardo da Vinci, verziehen diese Frauen keine Miene. Sie schauen den Betrachter direkt an, herausfordernd und rau. Warum lächeln sie nicht? „Doch, sie lächeln“, insistiert Ute Mahler, „alle.“ Natürlich sehe man bei da Vincis Tafelbild den hochgeruckten Mundwinkel des Modells, „sie lächelt mehr, ja, aber sie hat ein strengeres Gesicht. Unsere Monalisen sind selbstvergessen.“
Nicht leicht hinzukriegen war das, dieses Beisichsein. Olga und Maria, Tanja, Sian brauchten Zeit, bis sie den Fotografen trauten, jenem Paar aus Deutschland, dessen Name ihnen natürlich nichts sagte. Woher sollten sie wissen, dass Ute und Werner Mahler die Mitbegründer von Ostkreuz sind, einer der profiliertesten Fotoagenturen Deutschlands. Dass sie erfolgreiche Porträt- und Reportagefotografen sind. Die Mädchen sahen nur ein älteres Ehepaar, das ihnen einen Sitzplatz auf einem seltsamen Stuhl anbot und mit ihnen auf diesen Moment wartete, der sie zur Monalisa von Reykjavík oder Minsk machen würde.
Vierzig „zeigbare Porträts“ seien so entstanden, sagt Werner Mahler. Keine leichte Sache im öffentlichen Raum, wo Leute neugierig gucken – „da sollst du bei dir sein“, erklärt Ute Mahler die Schwierigkeit. „Aber das hat auch was Soziales. Wir haben den Raum, und wir holen die Person in diesen Raum – da gibt das eine dem anderen Sicherheit.“
Zum ersten Mal in ihrem Fotografenleben haben die beiden hier zusammengearbeitet. „Vor zwanzig Jahren wäre uns das absurd vorgekommen“, sagt Ute Mahler, „jetzt packen wir unsere Erfahrungen zusammen und es wird tatsächlich besser. Wir haben diese Eitelkeiten des Einzelnen nicht mehr.“
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