: Das Ende der Zukunft
Viele linke Projekte gingen vor 25 Jahren an den Start. In der Rückschau scheint der Gründungsboom weniger Zeichen linker Euphorie denn Vorbote des Utopieverlusts. Eine kritische Würdigung
von Maximilian Probst
Die Hafenstraße, das Wohnprojekt „Schröderstift“, der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) Hamburg, die Tagesaufenthaltsstätte für Wohnungslose „Herz As“: Was irgend mit Sozialem, mit Umwelt sich beschäftigt und als ein linkes Projekt durchgehen kann, feiert dieses Jahr 25-jähriges Bestehen. Ein bloßer Zufall, diese Häufung von Jubiläen? Oder deuten sie auf einen „Gründungsboom 1981“? Was war es dann, das 1981 die Linke bewog, sich in diesen Projekten zu organisieren? 1981: Was ist das für ein langer Schatten, in dem wir heute noch stehen?
1981 ist das Jahr der Massenbewegungen. Den Auftakt bildet die Demonstration in Brokdorf am 30. Januar. Mehr als 100.000 Menschen demonstrieren gegen den Bau von Atomkraftwerken. Und mit 250.000 Teilnehmern an einer Friedensdemonstration in Bonn am 10. Oktober neigt sich das Jahr seinem Ende zu. Die Mobilisierung von Massen funktioniert bekanntlich am besten vor dem Hintergrund von Bedrohung. In Brokdorf ist es die Vorstellung des GAUs, des atomaren Unfalls; in Bonn die Vorstellung, Europa werde zum Schlachtfeld der atomaren Auseinandersetzung zwischen den Großmächten USA und UdSSR. Das nötige Material für dieses apokalyptische Drehbuch lieferte der Nato-Doppelbeschluss zur Stationierung atomar bestückter Kurzstreckenraketen des Typs Pershing 2.
Scheuer Blick nach Westen
1981 ist das Jahr der Angst. Der Blick nach vorn zeigt nur die Katastrophe. AKW-Unfall und Atomkrieg. Auch sonst sieht es nicht gut aus: Die Wälder sterben. Den Meeren gehen die Fische aus. Die Ozonschicht schmilzt. Innenpolitisch ist der Beginn der 80er Jahre ein schleichender Kurswechsel. Schelskys Ideal der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ bröckelt. Die ersten Blicke gehen – scheu und verschämt noch – nach Westen: zu Thatcher und Reagan, den Apologeten der Klassengesellschaft. Wir haben uns an all das gewöhnt. 1981 aber verdichtet es sich zu einem Bild von der Zeit. „No future“ lautete damals nicht nur die Parole der Punks. 1981 ist das Jahr der Aktionen. „Die Zeit ist kurz.“ Zu träumen, zu entwerfen wäre fast schon ein Verbrechen. Handeln muss man. Und das heißt zuerst einmal: Retten. Retten, was man kann. (Das ehrt die Zeit, denn heute heißt es: Es rettet sich, wer kann.) Die Friedensbewegung möchte das nackte Leben retten, die Umweltbewegung das Erbe der Natur, die Hausbesetzer gewachsene Freiräume und die Sozialarbeiter den Status ihrer Klientel. Handeln, hier und jetzt. Drängt die Zeit, wird Theorie zu Ballast.
1981 ist das Jahr des Utopieverlustes. Wer rettet, entwirft nicht. Wer rettet bewahrt. Das ist die Kehrseite des Engagements in den frühen 80 er Jahren. Es ist immanent konservativ. Es wahrt das Bestehende oder sehnt sich nach Wiederherstellung eines Zustandes, der in der Vergangenheit verortet wird. (Die Verschiebung vom Entwerfen zum Bewahren sind die ersten Takte eines heutigen Leierlieds: Es lasse sich nicht mehr unterscheiden zwischen links und rechts). Für die emanzipatorischen Kräfte wird zum geschichtlichen Ausnahmefall, was für die konservativen Normalität ist: dass der Blick nach vorn verstellt ist. 1989, der Zusammenbruch des Sozialismus, ist nur der Schlussstrich unter einem Prozess, der sich schon 1981 durchzusetzen beginnt. An Alternativen zum herrschenden System mangelt es seitdem.
Was ist geblieben?
1981 ist das Fundament von heute. Der Aktion sagt man bisweilen nach, dass sie blind ist. Ihre ganze Kraft, hieße das, entfaltet sie erst an der Seite der Theorie, einer Theorie, die Entwurf ist, Vision, die den Aktionen ihren Ort anweist, ihre Kräfte bündelt und damit potenziert. Ohne Rahmen zersplittern die Aktionen. Auch die Vorstellung der 68er, alles sei politisch, funktioniert nur innerhalb dieses vorweg fixierten Rahmens. Die 80er Jahre bewahren die Idee von der Allgegenwart des Politischen, vergessen aber deren Rahmen. Und so gelangt man zu der naiven Vorstellung, man könne mit ein wenig Tofu, Yogi-Tee, Wind und Sonne, Punk oder Drogen den Kapitalismus herausfordern. Heute aber wissen wir: Die Vereinnahmung von Splitterkräften ist fürs Kapital bloß eine Fingerübung. Also die Frage: Was ist von den Massenbewegungen der 80er Jahre geblieben, der Friedensbewegung, der Umweltbewegung, der Hausbesetzerszene, der Sozialarbeiterideologie? Noch unter Rot-Grün ist Deutschland vom fünften auf den vierten Platz der Weltwaffenexporteure aufgestiegen. Die Energiewende gibt es bisher bloß auf dem Papier. Die Zentren der großen Städte nehmen zusehends den Charakter von Themenparks an. Und die Maschinerie zur Produktion massenhafter Armut läuft auf Hochtouren. Was von den Massenbewegungen geblieben ist? Kleine Korrekturen, Kosmetik, mit einem Wort. Bioprodukte im Discounter, Energiesparlampen, alternativer Lifestyle und die Rhetorik der humanitären Hilfe.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Hier soll nicht beschuldigt, nicht verurteilt werden. Es ist müßig zu betonen, wie wichtig und verständlich die Bewegungen Anfang der 80er waren. Es geht lediglich um die Frage, ob und unter welchen Bedingungen sich heute daran anknüpfen lässt. Das Erbe dieser Jahre wird man dann in der Antiglobalisierungsbewegung erkennen. Sie bringt im großen Stil auf die Bühne, was vorher im Kleinen geprobt wurde. Auch sie ist mehrheitlich aktionistisch, diffus und bewahrend. Das „Anti“ im Namen zeigt es an: Der Globalisierung hält sie ein großes Nein entgegen. Aber bräuchten wir nicht stattdessen einen Entwurf, wohin sie führen könnte? Hätten wir nicht schon längst den Begriff der Globalisierung mit egalitären Prinzipien verbinden, von links beanspruchen sollen – statt ihn den neoliberalen Euphemisten oder den fundamentalistischen Schwarzmalern zu überlassen?
Vielleicht ist es an der Zeit, sich mal wieder Zeit zu lassen; den hektischen Aktionismus der Apokalyptik zu durchbrechen; zu entwerfen, zu konstruieren; zu affirmieren; zum Kern des Politischen zurückzukehren: „die Verständigung unter den Menschen neu begründen“, um mit André Breton zu sprechen. Oder mit den letzten Worten von Goethe: Licht, „mehr Licht“. Und sei es vorerst das der Theorie.
Utopie als Korrektiv
Unverfänglich ist das aber nicht: Jeder Versuch, den Kapitalismus und die herrschende Form der Demokratie in Frage zu stellen, lautet das liberale Credo heute, sei bereits der Auftakt zum Terror. Was sich auf Egalität beruft, ende unweigerlich im Exzess. Das sei die Lehre, die man aus der Geschichte, den vergangenen revolutionären Bestrebungen ziehen müsse. Wie vulgär-historisch diese Betrachtungsweise ist, wird ersichtlich, wenn man sie auf ähnlich vulgäre Weise ergänzt. Denn hat uns die Geschichte nicht auch gelehrt, dass der Kapitalismus seine soziale Seite erst unter dem Druck von verführerischen Alternativen herausgekehrt hat? Bismarck und die Sozialgesetzgebung sind dafür eines der markantesten Beispiele.
Und wenn man mit den 80er Jahren eine schrittweise Rehabilitierung der Klassengesellschaft und des ökonomischen Diktats konstatieren kann, muss man dran denken, dass der Bankrott der so genannten real existierenden Sozialismen nicht mehr zu übersehen war.
Wer sich, weil er eine bessere Welt entwirft, heute als Theoretiker des Totalitären diffamiert sieht, mag also ruhig entgegnen, dass die Utopie ihren Wert schon in sich selbst besitzt: als Korrektiv. Ob man mehr von ihr erwarten darf, sei hier dahingestellt. Sicher aber ist, dass mit der Anerkennung ihres Wertes eine Epoche abgeschlossen wird: 1981 ist Geschichte. 25 Jahre sind ins Land gegangen. 25 lange Jahre, die im Rückblick wie ein würdiger Winterschlaf erscheinen. Hier gelten die Worte von Rilke: „Wer spricht von Siegen? Überstehen ist alles.“ Herzlichen Glückwunsch, oder sagen wir lieber: Guten Morgen.
Hinweis: MAXIMILIAN PROBST, 28, Übersetzer und Autor in Hamburg. Schreibt für die taz und die Zeit.
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