MACHTPROBE IN DER UN-GENERALVERSAMMLUNG: Chávez hat sich verrechnet
22 Abstimmungen und weder ein Ende noch ein Sieger in Sicht: Der Kampf zwischen US-Kandidat Guatemala und Venezuela um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat trägt absurde Züge. Allerdings steht tatsächlich auch eine Menge auf dem Spiel.
Venezuelas Präsident Hugo Chávez ist ein Meister darin, medienwirksame Showdowns zu inszenieren. Hätte er die Abstimmung gegen Guatemala klar gewonnen, dann wäre das ein deutliches Zeichen dafür gewesen, wie weit er es mit seiner Mischung aus antiimperialistischer Rhetorik und Petrodollar-Diplomatie schon gebracht hat. Medienberichten zufolge soll Venezuela über eine Milliarde Dollar in die Kampagne gesteckt haben. Um die halbe Welt ist Chávez gereist, um Verbündete zu suchen. Nach dem Blockfreiengipfel in Havanna verkündete er schließlich im September, genug Unterstützer beisammen zu haben – er hat sich verrechnet.
Dennoch: Die Machtprobe zwischen den USA und Venezuela – und darum handelt es sich, auch wenn Guatemala und die USA etwas anderes behaupten – ist noch nicht entschieden. Wahrscheinlich wird am Ende eine Kompromisskandidatur stehen, womöglich Uruguays. Dann hätte Chávez zumindest erreicht, dass die USA sich nicht hätten durchsetzen können. Denen aber ist an Guatemala ja gar nicht wirklich gelegen. Zwar handelt es sich dabei um eine der wenigen US-hörigen Regierungen Lateinamerikas, aber für die USA gilt: alles, nur nicht Venezuela (oder Kuba, versteht sich). Wenn es also zu einer erfolgreichen Kompromisskandidatur kommen sollte, wäre das ein Sieg für die USA.
Für den Sicherheitsrat ist es eine ambivalente Situation: Einerseits würde die Mitgliedschaft Venezuelas die Repräsentativität des Gremiums steigern – eine artikulierte Stimme gegen die US-Hegemonie entspricht durchaus dem Volkswillen in Lateinamerika. Nur: In den Auseinandersetzungen, etwa um Iran, die das Gremium erwarten, könnte Ahmadinedschad-Freund Chávez die Handlungsfähigkeit des Rates stark beschädigen. Das kann, wer gegen Unilateralismus auf die UNO setzt, nicht wollen. BERND PICKERT
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