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Tanzverbieter auf dem Rückzug

SÄKULARISIERUNG Das gesetzliche Tanzverbot an Karfreitag gilt in Bremen nur noch von 6 bis 21 Uhr. Damit gilt in Bremen die bundesweit liberalste Regelung. Für Tanzverbotsgegner Maurice Mäschig ist das jedoch nur ein erster Erfolg

Stille Feiertage

■ Die meisten Tanzverbote hat Baden-Württemberg: Sie gelten an 18 Feiertagen, außerdem jeden Sonntag von 4 bis 11 Uhr.

■ Bayern ist mit neun Tanzverboten das zweitstrengste Land

■ Am liberalsten sind die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin: Hier sind bloß Karfreitag, Volkstrauertag und Totensonntag geschützt.

■ Petitionen gegen das Tanzverbot nach dem Bremer Vorbild blieben in Schleswig-Holstein, Hessen und Rheinland-Pfalz ergebnislos.

VON KORNELIUS FRIZ

Jesus ist tot, Bremen feiert. Und 930 Personen gefällt das. Die Facebook-Seite „Tanzverbot abschaffen“ habe in den Tagen vor Karfreitag gleich 200 neue Likes bekommen, sagt Maurice Mäschig, der die erfolgreiche Kampagne gegen das Bremer Tanzverbot initiiert hat.

In allen Bundesländern gibt es zumindest an Karfreitag, dem Volkstrauertag und Totensonntag Tanzverbote. Teilweise stehen auch Feiertage wie Himmelfahrt oder in Baden-Württemberg sogar Heilige Drei Könige unter Schutz gegen Tanzwillige. An Karfreitag haben Schleswig-Holstein und Niedersachsen 24-stündige Tanzverbote, in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sind die Verbote zeitlich eingeschränkt. Am liberalsten derzeit ist Bremen mit einer Tanzsperre von sechs bis 21 Uhr.

Dass es die neue Bremer Regelung gibt, ist das Verdienst von Maurice Mäschig. Seit 2011 engagiert sich der 28-jährige Student, der für die SPD im Bremer Stadtteilbeirat Horn-Lehe sitzt, gegen das Tanzverbot an kirchlichen Feiertagen. „Ebenso wenig wie mir eine Diskothek vorschreiben kann, feiern zu gehen, kann mir eine Kirche verbieten zu tanzen“, sagt Mäschig. Er wurde nicht religiös sozialisiert und engagiert sich innerhalb der SPD für den Laizismus. Dennoch sei er kein Feind der Kirche, beteuert er. Glaubensfreiheit sei ein schützenswertes Gut, solange sie seine persönliche Freiheit nicht einschränke: „Christen können ihren Karfreitag begehen, wie sie wollen – solange sie es in ihren Gotteshäusern tun.“

790 Bremer unterzeichneten bis April 2011 Mäschigs Petition zur Abschaffung des Tanzverbots an kirchlichen Feiertagen. Im März 2013 wurde das Feiertagsgesetz geändert, das Tanzverbot gilt seitdem nur noch an 37 Stunden statt wie bisher 274 Stunden im Jahr. Weil die Gesetzesänderung 2013 noch zu kurz in Kraft war, war der gerade vergangene Karfreitag der erste in Bremen, an dem wieder Vergnügungs-, Tanz und Sportveranstaltungen stattfinden durften.

Für eine traditionelle Karfreitags-Party wie die Tanznacht „Kerosene“ im Tower Bremen bedeutete das: keine Stehtische auf der Tanzfläche bis zwei Uhr morgens mehr, damit ja keiner tanzt – offiziell galt das Tanzverbot bisher sogar bis vier Uhr am Samstagmorgen. Obwohl es für die BetreiberInnen finanziell kaum einen Unterschied macht, freut sich Tower-Inhaber Timo Brock: „Ich habe nichts gegen die Kirche, aber das Gesetz fand ich einfach überholt.“

Für Martin Schomaker dagegen, den Propst der Bremer St.-Johann-Gemeinde, sind stille Feiertage wie der Karfreitag wichtig: „Ebenso wie Kulturdenkmäler erhalten werden, sollten wir auch Kultur-Ideen weiterhin schützen.“ Der stille Karfreitag sei eine gesellschaftliche Errungenschaft, aber auch eine Irritation, „und das soll er ruhig sein“. An der demokratisch gefundenen Regelung will allerdings auch Schomaker „nicht mehr rütteln“.

Schon unter den Nationalsozialisten gab es in Deutschland Tanzverbote, die je nach Kriegslage erlassen und mehr oder weniger streng eingehalten wurden. Nach dem Krieg wurde der „Schutz der Sonn- und Feiertage“ dann wörtlich aus der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz übernommen und von jedem Bundesland anders interpretiert, wobei die Tanzverbote in die Feiertagsgesetze hineingeschrieben wurden.

Laut Statistik gehörten 2011 etwa 54 Prozent der Bremer BürgerInnen der evangelischen Landeskirche (42 Prozent) oder der römisch-katholischen Kirche (12 Prozent) an. Mäschig warnt jedoch davor, mit dem Mehrheitsprinzip zu argumentieren: „Wenn Atheisten in der Mehrheit wären, würde man auch nicht die Religionsfreiheit einschränken.“ Vielmehr gehe es darum, keiner Gesellschaftsgruppe die „Moralvorstellungen einer Glaubensgemeinschaft aufzudrücken“.

Problematisch findet der Bremer Aktivist, dass nichtreligiöse Menschen selten als solche organisiert sind, also per se schlechter aufgestellt sind als die Kirchen, die Mäschig mit dem ADAC vergleicht: „Beides sind Lobbygruppen, die ihre eigenen Interessen durchsetzen und sich größer machen, als sie sind.“

Obwohl die Mitgliederzahlen auch in Bremen rückläufig seien, sieht Mäschig den Einfluss der Kirchen keineswegs sinken. Wenn es nach ihm ginge, sollten sie aus vielen gesellschaftlichen Bereichen „sofort aussteigen“. Kirchliche Schulen und Kindergärten könnten freie Träger oder das Land übernehmen.

Besonders problematisch findet Mäschig aber die christlichen Feiertage. Weihnachten etwa sei doch nur noch ein „Konsumfest mit dickem, bärtigem Mann“, das zugunsten Anders- und Nichtgläubigen ersetzt werden sollte. Mäschig plädiert dafür, so genannte „Brauchtumstage“ einzuführen oder sie durch zusätzlichen Urlaub zu ersetzen. Schließlich könne man „selbst in Italien am Osterfest tanzen gehen“.

Ganz ausgestanden ist die Tanzverbots-Diskussion in Bremen noch nicht. 2018, so steht es im Feiertagsgesetz, soll das Tanzverbot ganz außer Kraft treten – Zeit genug, das Gesetz auch wieder zu ändern. Besonders die stark protestantische Bremer SPD tut sich schwer – Fraktionschef Björn Tschöpe hat schon im vergangenen Jahr angekündigt, in fünf Jahren werde das Gesetz „überprüft“.

Weder im Vorzimmer des SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen noch beim Innensenator Ulrich Mäurer fühlt man sich derzeit so recht zuständig für den nicht mehr ganz so stillen Karfreitag. Für Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin des Innensenators, ist das Tanzverbot jedenfalls kein Thema mehr. Sie hält die aktuelle Lösung für „einen guten Kompromiss“ und rechnet auch 2018 nicht mit einer kompletten Abschaffung – das gehe „an der Wirklichkeit vorbei“.

Maurice Mäschig sieht seine Arbeit darum noch lange nicht als abgeschlossen an. Falls das Tanzverbot 2018 nicht komplett abgeschafft werde, will der SPD-Politiker wieder aktiv werden. Denn auch, wenn er diesen Freitag gar nicht tanzen gehen wollte, ist er doch glücklich, „endlich die freie Wahl zu haben“.

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