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„Zurück ins 19. Jahrhundert“

Die Folgen des Urteils aus Karlsruhe könnten drastisch sein, meint der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann. Arme müssten an den Stadtrand ziehen, die Viertel würden sich weiter entmischen

Interview ANTJE LANG-LENDORFF

taz: Herr Häußermann, Karlsruhe hat hart geurteilt. Wie wird sich Berlin in den nächsten fünf Jahren verändern?

Hartmut Häußermann: Berlin wird gleichzeitig einen strikteren Sparkurs fahren müssen und sich weiter verschulden. Bleibt es dabei, dass Berlin tatsächlich auf sich selbst gestellt ist, werden überall da, wo staatliche Moderation und Kompensation von Problemen bisher möglich und nötig waren, nun unmittelbar die Marktverhältnisse durchschlagen. Alle Ausgaben, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, werden noch rigoroser gestrichen. Die problematischste Konsequenz ergibt sich vielleicht für die Integration von Migranten. Da ist gesetzlich wenig vorgeschrieben, da wird sich dann nur noch wenig bewegen.

Was heißt das konkret, etwa für den Wohnungsmarkt?

Die Kaufkraft der Bevölkerung entscheidet dann alleine darüber, wo wer wohnt und wie wer wohnt. Es ist gut möglich, dass Haushalte, die sich hauptsächlich durch Transferzahlungen finanzieren, ihre Wohnungen nicht mehr halten können. Sie müssen sich zurückziehen in Gegenden, wo es sehr billig ist. Ich vermute, dass diese Quartiere am Stadtrand liegen werden und nicht im Innenstadtbereich. Dort konzentriert sich dann die Bevölkerung, die über keine Kaufkraft verfügt. Es käme also zu einer Verschärfung der sozialen Ausgrenzung. Das ist die Stadt des 19. Jahrhunderts.

Die Richter haben Berlin den Verkauf der landeseigenen Wohnungen empfohlen. Was hätte das für Folgen?

Die privaten Eigentümer wollen vor allem die Rendite erhöhen, sie entlassen beispielsweise Personal, um Kosten zu sparen. Für die Leute, die in den Wohnungen leben, wird es ungemütlich und teurer. Langfristig wäre es auch für die Stadt ein Problem, da sie dann überhaupt keinen Zugriff mehr auf Belegungsrechte hat. Die Politik hätte für alles, was über die unmittelbare Profiterzielung durch Vermietung hinausgeht, keinen Partner mehr. Die Entwicklung, dass Arme an den Rand gedrängt werden, würde dadurch beschleunigt.

Auch Kürzungen im Bildungsbereich würden das Auseinanderdriften der Gesellschaft verstärken.

Sicherlich. Die Richter verweisen ja auf das Land Hamburg, das weniger ausgibt für Hochschulen, Wissenschaft und Kultur. In Hamburg gibt es über tausend private Stiftungen, die für so was Geld spenden. In Berlin gibt es kein privates Kapital, das in diese Lücke springen und Kürzungen auffangen könnte. Das ist also ein unfairer Vergleich. Natürlich wird sich die Frage stellen, wer die Berliner Schulen verbessern kann, wenn nicht das Land. Die Leute beispielsweise aus Zehlendorf oder Dahlem, die Geld haben, die können für die Schulen ihrer Kinder etwas spenden. Aber dort, wo es am dringendsten gebraucht wird, in den Armutsgebieten in Neukölln, Wedding und Moabit, da würde nichts passieren. Das hätte dann eine weitere Entmischung sowohl der Schulen als auch der Quartiere zur Folge.

Was kann die Berliner Politik jetzt noch tun, um diese Entwicklung zu verhindern?

Man kann die Zukunft des Landes Berlin nicht von einem Urteilsspruch abhängig machen. Es sieht doch jeder, dass das Land Hilfe braucht, dass es diese Situation nicht alleine bewältigen kann. Der Länderfinanzausgleich muss neu geordnet werden. Deutschland ist doch kein armes Land, es ist alles eine Frage der Umverteilung. Ich glaube noch nicht, dass da das letzte Wort gesprochen ist.

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