CHARLOTTE KNOBLOCHS VERGLEICH MIT 1933 IST FALSCH. UND AUCH FATAL: Ausdruck der Resignation
Die Statistik lässt keinen Zweifel zu: Um 20 Prozent haben rechtsextreme Straftaten in diesem Jahr zugenommen; sie erreichen fast die 6.000er-Marke. Und empirische Umfragen belehren uns, dass Antisemitismus und Fremdenhass noch immer keine gesellschaftlichen Randphänomene darstellen. Anlass, Alarm zu schlagen, gibt es also genug – umso mehr, als trotz der fast unisono vorgetragenen Verurteilung rechtsradikaler Untaten in der Öffentlichkeit und trotz vielfacher Aufforderungen, „gegen rechts“ vorzugehen, im konkreten Fall oft Schweigen oder Verharmlosung obsiegt.
Die jüngsten Äußerungen von Charlotte Knobloch, der Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, zum Anstieg des Antisemitismus verfehlen allerdings das Ziel, die politisch Verantwortlichen wie die Zivilgesellschaft wachzurütteln. Denn Knobloch hat erklärt, antisemitische und rechtsradikale Aktionen hätten bereits „eine Öffentlichkeit und eine Aggressivität erreicht, die an die Zeit nach 1933 erinnern“.
Ist es wirklich notwendig, daran zu erinnern, dass der Judenhass, der nach dem Januar 1933 an die Macht kam, einen Massenterror gegen Linke wie Juden von oben planvoll inszenierte? Spielt es bei diesem Vergleich gar keine Rolle mehr, ob im heutigen Deutschland noch Rechtsstaat, Demokratie, vor allem aber eine breite gesellschaftliche und demokratische Gegenbewegung gegen den Rechtsradikalismus existieren?
Charlotte Knoblochs Vergleich ist Ausdruck der Verzweiflung. Es wäre aber falsch, ihn so stehen zu lassen. Denn wer Vertreter der jüdischen Gemeinden bei solchen Äußerungen von der Kritik ausnimmt, spricht ihnen die Fähigkeit zum politischen Urteil – und damit auch zum politischen Irrtum – ab. Charlotte Knoblochs Irrtum besteht nicht nur in ihrer Interpretation der Fakten. Mit der Zeitbestimmung „nach 1933“ suggeriert sie mit ihrem Vergleich eine Fatalität, die vom Terror des Frühjahrs 1933 bis hin zum Völkermord an den Juden reicht. Damit trägt sie nicht zur Stärkung des Kampfs gegen den Rechtsradikalismus bei. Sondern zur Resignation. CHRISTIAN SEMLER
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