: Fremd im eigenen Land?
BUCH Im Roman „Die Ungehaltenen“ geht es um die Geschichte zweier Gastarbeiterkinder, Autor Deniz Utlu hat aber keine Lust auf Klischees um Integration, Heimat und Sprache. Stattdessen geht es um Trauer
■ Deniz Utlu hat VWL studiert, das Kultur- und Gesellschaftsmagazin freitext herausgegeben und zusammen mit Marianna Salzmann die Theaterstücke „Tod eines Superhelden“ und „Fahrräder könnten eine Rolle spielen“ geschrieben. Auszüge finden sich auf seiner Homepage www.denizutlu.de, beide Stücke wurden im Ballhaus Naunynstraße gezeigt, wo Utlu außerdem (ebenfalls gemeinsam mit Salzmann) die Literaturwerkstatt RAUS geleitet hat. Die Ergebnisse wurden im Maxim Gorki Theater präsentiert. Geboren ist Utlu 1983 in Hannover, „Die Ungehaltenen“ ist sein erster Roman (März 2014, Graf Verlag, 18 €). CVW
■ Lesung und Gespräch: Institut für Menschenrechte, Zimmerstraße 26/27, 6. 5., 19 Uhr; Lesung und Musik am 23. 5. um 22 Uhr im Ballhaus Naunynstraße
INTERVIEW CATARINA VON WEDEMEYER
taz: In „Die Ungehaltenen“ erzählen Sie, wie sich die Situation der türkischen Arbeiter in Kreuzberg nach dem Mauerfall änderte. Erst war es ihr Ort, dann nicht mehr. Und heute?
Deniz Utlu: Kreuzberg ist für mich ein Spiegel für die Geschichte der ganzen BRD. Diese Menschen sind nur wenige Jahre nach Gründung der BRD hierhergekommen und haben an dem Aufbau nach dem Krieg mitgewirkt. Jetzt werden Jugendliche abgeschoben, obwohl sie hier geboren und aufgewachsen sind. Sie sind „fremd im eigenen Land“, ein Songtitel von Advanced Chemistry.
In einer Szene klettern die Protagonisten am Kotti auf das Dach von Möbel Olfe, und Hekim sagt: „Die Stadt klebt an mir wie Kuhscheiße.“ Kann es nicht auch positiv sein, wenn man sich zu einem Ort zugehörig fühlt?
Hekim formuliert es negativ, weil er gesellschaftlich nicht da ist, wo er gern sein würde. Aber er sagt auch: „Ich bleibe hier. Und erzähle so lange die Geschichten meiner Leute bis es nichts mehr zu erzählen gibt.“ Bei Hekim gilt der Satz: die Stadt bleibt in dir. Die Idee des Zurückgehens wird obsolet. Du kannst nicht zurückgehen, du kannst nur auswandern. Aber das hat hohe Kosten.
Gibt es Heimat?
Zumindest gab es mal einen ziemlich coolen Club namens Haymatlos in Istanbul, das erwähne ich auch im Buch. Ansonsten kommt das Wort „Heimat“ aber kein einziges Mal vor.
Ihr Protagonist Elyas sagt einmal, dass er will, dass die Stadt aufhört – wollen Sie das auch?
Das will ich oft. Aber es geht mir nicht darum, dass Berlin aufhört. Mein Protagonist will, dass seine Welt aufhört. Das kann in allen urbanen Räumen passieren, in Berlin, Istanbul, Tokio, New York. Es gibt dieses Gedicht von Kavafis: „Ich werde in ein anderes Land fahren/An ein anderes Meer“, aber in der zweiten Strophe: „Du wirst keine neuen Länder entdecken, keine anderen Meere/Die Stadt wird dir folgen.“
Worum geht es Ihnen vor allem, wenn Sie die Geschichte der Gastarbeiterkinder erzählen?
Für mich geht es in erster Linie um die Verarbeitung von Trauer. Das Thema von Elyas ist: Mein Vater ist gerade tot, und die Geschichte bleibt für mich verschlossen. In diesem Kontext sucht er auch nach der nicht niedergeschriebenen Geschichte des deutsch-türkischen Abkommens und der BRD: Gastarbeiter in Anführungsstrichen, die 90er Jahre, Solingen, das Anwerbeabkommen, die Feierlichkeiten dazu und die NSU. Aber mir geht es um die emotionale Geschichte.Wenn die weder in der Schule noch in den Medien eine Rolle spielt, dann entsteht ein Spannungsfeld zwischen persönlicher Wahrnehmung und gesellschaftlicher Erwartung.
Stirbt mit dem Vater auch ein Stück Geschichte?
Ja, es ist ein doppelter Verlust. Aber die Trauer öffnet auch einen politischen Raum. Das, was diese Person Dir bedeutet, ist im Kontrast zu dem, was die Gesellschaft eigentlich von dieser Person will, Integration nämlich, absurd. Mir geht es nicht darum, die Geschichte der Gastarbeiter zu erzählen, oder Integration zu thematisieren. Denn mit Integration ist oftmals Anpassung gemeint. Das interessiert mich genauso wenig wie Ankommen oder nicht Ankommen. Deswegen sagt Elyas: „Ihr redet über Integration, aber mein Vater ist tot.“ Mich interessieren Menschen, und nicht wie gut jemand deutsch spricht oder nicht. Trauer birgt die Chance, die Entmenschlichung ein Stück aufzuheben. Das klingt alles hart, aber später lernt Elyas Aylin kennen. Da ändert sich sein Duktus, und es wird auch eine Geschichte der Solidarität und Verbundenheit.
Hat Ihre eigene Geschichte das Buch mitbestimmt?
Es ist eine persönliche Geschichte: Die Themen und die Emotionen kenne ich alle. Trotzdem treffen meine Figuren andere Entscheidungen und geraten dadurch in andere Umstände.
Sie arbeiten für das Deutsche Institut für Menschenrechte. Hat das Ihre Sicht erweitert?
Ich glaube eher, dass meine Menschenrechtssicht mich zu meiner Arbeit gebracht hat. Schon in meiner Abschlussarbeit ging es um die gesellschaftliche Auswirkung von unternehmerischem Handeln. Aber die Themen haben Auswirkungen für das Schreiben. Wenn ich in Bogotá mit Vertretern indigener Gruppen spreche, die wegen Infrastrukturprojekten umgesiedelt werden müssen, dann hat das etwas mit Schicksalen zu tun. Mich interessiert, wie sich Politik auf das Leben Einzelner auswirkt.
Wo spiegeln sich solche Themen in den „Ungehaltenen“?
Im Buch kommt zum Beispiel der Streik in den Ford-Werken vor. Die Konflikte zwischen deutschen und türkischen Arbeitnehmern waren eine Vorschau für das, was in den 90ern dann gesellschaftlich der Fall war. Der Streik konnte nur gebrochen werden, weil deutsche Arbeiter die türkischen Kollegen verraten haben. Das hat etwas mit Arbeitnehmerrechten zu tun.
Sie sagten vorhin „Gastarbeiter in Anführungszeichen“: Wie finden Sie es, dass das Thema im Ballhaus Naunynstraße, in der Oper Neukölln und jetzt auch im Maxim Gorki Theater so eine große Rolle spielt?
Das Ballhaus hat viel bewegt, die Arbeit des neuen Gorki ist enorm wichtig, aber das ist nicht exemplarisch für den Diskurs. In dem werden viele Klischees reproduziert. Für mich gibt es zum Beispiel keine Migrantenliteratur. Diese Geschichten betreffen die ganze Gesellschaft. Alle denken, es sei der Diskriminierte, der ein Problem hat und darüber reden will, aber es ist auch ein Problem des Diskriminierenden. Deswegen spreche ich über solche Literatur und über das Ballhaus als politische Literatur und politisches Theater.
Wie vermeiden Sie selbst diese Klischees?
Ich kann nicht sagen, dass ich einen nichtrassistischen Blick habe, weil das durch uns alle hindurchgeht. Vielleicht bin ich an einigen Punkten sensibilisiert. Aber ich will nicht mit einer politischen Agenda an einen Text herangehen. Ich arbeite mit Stimmung und mit Stimme: Der Ton einer Figur ist mir wichtig. Wenn ich über einen deutsch-türkischen Menschen schreibe, dann heißt das nicht, dass er sich alle zwei Sekunden am Sack kratzen muss oder dass er gewalttätig ist. Oder dass alle Dealer schwarz sind. Das ist Bullshit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen