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Revolution von oben

KAUFEN Der Milliardär Nicolas Berggruen hat erst Karstadt gerettet, jetzt kommen Kalifornien und Amerika dran. Aber das Wichtigste hat er vergessen

Ingo Arend

■ lebt als freier Kunst- und Literaturkritiker in Berlin. Unter anderem schrieb er an dieser Stelle über den Nahverkehr als Nagelprobe für die Demokratie: „Bewegungsfreiheit auf Eis“.

Nicolas Berggruen ist äußerst sympathisch. Nicht nur, weil der smarte Sohn des Emigranten, Kunstsammlers und Mäzens Heinz Berggruen das gute alte Kaufhaus Karstadt oder das Café Moskau in Berlin rettet, weil er in der Hauptstadt Gründerzeithäuser aufkauft, historisch exakt saniert, darauf achtet, dass sie kulturell genutzt werden – auf diese Weise hat er dem Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien zu einer preiswerten neuen Bleibe verholfen. Sondern generell, weil er so kulturaffin ist. Die Politik der Kultur und die Kultur der Politik – das scheint bei ihm verblüffenderweise in guten Händen.

Die Reichen sollten mehr Steuern zahlen müssen

Wie sein US-Kollege Warren Buffett findet Berggruen, dass die Reichen mehr Steuern bezahlen sollten. Und immerhin hat er mal den Kauf eines Waffenunternehmens abgelehnt. Er ist das Gegenbild der Business-Aliens, die uns sonst so im ICE nach München oder Frankfurt begegnen. Auch wenn man ihn praktisch nur mit Headset zu sehen bekommt. Doch Berggruen kennt seine Grenzen. „Eine große Leistung ist es“, hat er einmal gesagt, „ein großer Architekt zu sein, ein großer Schriftsteller, ein großer Forscher, ein großer Politiker, ein großer Denker. Ich finde, ich habe bisher nichts geleistet“.

Zu seinem Tick, berühmte Architekten mit dem Bau neuer Hochhäuser in aller Welt zu beauftragen, hat der Chef der Investmentfirma Berggruen-Holdings einem Interviewer anvertraut: „Mir geht es nicht nur um kommerziellen Erfolg, sondern auch um Schönheit. Dies gilt auch für Immobilien in Indien, in Israel und in Amerika. Es geht immer um die Ästhetik. Noch in hundert Jahren sollen sich Menschen daran erfreuen.“

In der Öffentlichkeit markiert der 50-Jährige so etwas wie das Antiklischee des Investors. Doch allzu viel Projektionen dämpft er regelmäßig. Als er kürzlich die spanische Tageszeitung El País übernahm, sagte er ehrlich, dass es ihm ums Geld gehe, nicht um die Pressefreiheit. Dennoch, man wird das Gefühl nicht los: Wenigstens dieser Mann hat noch eine Vision.

Sein neuestes Begehren heißt „Reform California“. Der Milliardär will Kalifornien retten. Der US-Bundesstaat ist nach acht Jahren Regierung durch den Terminator Arnold Schwarzenegger in einem beklagenswerten Zustand. Deswegen hat es sich das von Berggruen gegründete und nach ihm selbst benannte Institut neuerdings zum Ziel gesetzt, dort „tiefe Reformen“ durchzusetzen.

Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte er, mit diesem Projekt ganz Amerika reformieren zu wollen. Denn das Land funktioniere „im Ganzen heute ziemlich schlecht“. Bei der Sanierung des kalifornischen Schuldenhaushalts und dem Steuersystem des US-Bundesstaats, der achtgrößten Wirtschaft der Welt, will er nicht stehen bleiben. Das ehrgeizige Programm eines „unpolitischen Senats, neuer Wahlgesetze und -prozesse“ und längerer Legislaturperioden klingt nach einer Art innenpolitischem regime change: Yes, I can.

Neuauflage des komatösen Neoliberalismus

Die Amerikakritik teile ich, teilen wir durchaus. Zumal nach den jüngsten Wahlen. Trotzdem ließe sich viel aufzählen, was an dem Projekt (grund)falsch ist: diese Rhetorik des Unpolitischen zum Beispiel. Seine Klage über „zu viele Parteigänger“ in der Politik, die zu wenig zum Wohle des Ganzen kooperierten, erinnert an das Credo von Kaiser Wilhelm: „Ich kenne keine Parteien mehr.“ Auch die – mit Blick auf China – reichlich abenteuerlich aus der fernöstlichen Philosophie abgeleitete Idee Berggruens, auf der Ebene der Regierung müsse es mehr „Wettbewerb“ und „Rechenschaftspflicht“ geben, klingt wie eine Neuauflage des komatösen Neoliberalismus.

Berggruen geht zudem von falschen Prämissen aus. Der Deutsche Gerhard Schröder und Spaniens Exregierungschef Felipe Gonzáles, die in irgendeinem Beirat Seite an Seite mit Google-Chef Eric Schmidt und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz reformpolitische Kärrnerarbeit leisten sollen, hält Berggruen tatsächlich für Linke. Dabei sind sie mit so viel „Reformen“ in ihren Amtsjahren auf die (Arbeitnehmer-)Nase gefallen, dass die gut verdienenden Lobbyisten in Zukunft tunlichst die Finger davon lassen sollten.

Wem sind die Honoratioren rechenschaftspflichtig?

Wenn man schon über unkonventionelle Persönlichkeiten nachdenkt, warum fällt im Zusammenhang mit einem solchen Projekt nicht ein Name wie der des amerikanischen Soziologen Mike Davis, dem Autor des brillanten Klassikers „Stadt aus Quartz, Ausgrabungen der Zukunft“ (Verlag Schwarze Risse) und „Ecology of Fear“ (Ökologie der Angst. Das Leben mit der Katastrophe, München, Kunstmann).

Berggruens Projekt ist eine atemberaubende Elitenverschwörung. Basisarbeit geht ihm offenbar einfach zu langsam

Davis, nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem US-Demokraten Gray Davis, dem grauen Gouverneur von Kalifornien, den Schwarzenegger mit einem Volksentscheid aus dem Amt drängte und der jetzt auch noch mit von der Partie ist, aber er ist wahrscheinlich der Einzige, der sich mit Geschichte, mit Race, Class, Gender und der Stadtentwicklung von Los Angeles und Kalifornien einigermaßen auskennt.

Doch das sind Nebensächlichkeiten gegen den einen, entscheidenden Einwand. Was Berggruen will, ist eine Revolution von oben. Das Projekt ist eine atemberaubende Elitenverschwörung. Gegen die Pläne und die Besetzung, die sich Berggruen ausgedacht hat, ist die Bertelsmann-Stiftung, die so ähnlich arbeitet und inzwischen ja schon die Stadtverwaltung von London betreibt, ein belächelnswerter local player. Wem sind die Honoratioren, die dort eine andere Gesellschaft auf dem Reißbrett entwerfen sollen, eigentlich rechenschaftspflichtig? Warum gründet der Mann keine Bürgerinitiative? Und tritt bei der nächsten Wahl in Kalifornien als Reformbewegung an?

Da ist der Philanthrop und Propagandist der sozialen Verantwortung dann doch der Unternehmer geblieben, der er eigentlich nicht mehr sein wollte.

Wahrscheinlich geht ihm mühsame Basisarbeit vor Ort einfach nicht schnell genug. Sorry to say – aber Berggruens Idee fehlt das Entscheidende: der demokratische Faktor. INGO AREND

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