: Junges Happening in Straßburg
EUROPA Lebhafte Diskussionen, tanzende Jugendliche, aber auch jede Menge Wut. Mehr als 5.000 junge Europäer und Europäerinnen haben am Wochenende in Straßburg eine eigene Vision für die EU entworfen
AUS STRASSBURG ROBERT SCHMIDT
Alltäglich ist es ja nicht, dass junge EuropäerInnen vor dem EU-Parlament tanzen. Tschechische Popmusik gibt den Takt vor, jeder groovt ein bisschen die Nachbarn und ein bisschen, wie er will. Europa als Gefühl. Zwei Wochen vor der Wahl hat das europäische Parlament am Wochenende junge Menschen nach Straßburg eingeladen.
Mehr als 5.000 Teilnehmer aus allen EU-Staaten sind der Einladung zum sogenannten Europäischen Jugend-Event (EYE) gefolgt, um gemeinsam eine ganz neue Vision für Europa zu entwerfen. Neben der obligatorischen guten Laune hatten sie auch einige Forderungen mitgebracht.
Hinter dem Flashmob, den die Jugendlichen vor dem Parlament in Straßburg veranstalteten, steckt mehr als nur ein paar Minuten Spaß. „Wir wollen mitreden“, sagt Charlotte aus Berlin entschlossen. Die rothaarige Abiturientin absolviert einen Freiwilligendienst in Frankreich.
Wie Charlotte hat nur ungefähr jeder fünfte der Teilnehmer seine Fahrtkosten erstattet bekommen, alle anderen haben ihre Anreise selbst bezahlt. Viele Studenten sind darunter, junge Freiwillige und Berufseinsteiger. Gefühlte 80 Prozent der Teilnehmer kommen aus Deutschland und Frankreich. Was junge Europäer nach Straßburg treibt, welche Hoffnungen und Ängste sie verbinden, konnte man bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Mitbestimmung erfahren.
EU-Generalsekretär Klaus Welle (CDU), der vor eineinhalb Jahren die Idee zu der Veranstaltung hatte – „um etwas dagegen zu tun, dass nur ältere Klientel nach Straßburg kommt“ –, sah sich mit vielen kritischen Fragen konfrontiert. Eine junge Menschenrechtsaktivistin aus Polen verlangte mehr Rechte derjenigen Jugendlichen, die im Allgemeinen nie an solchen Events teilnähmen. Welle verwies auf Facebook und Twitter. Auf den Vorschlag einer 25-Prozent-Quote für junge Abgeordnete reagierte Welle positiv, ermutigte die Jugendlichen allgemein zu mehr Forderungen.
Eine Teilnehmerin, die sich als „Magdalena“ und „Europäerin“ vorstellte, merkte zynisch an: „Auf dem Podium sitzen fünf Männer und zwei Frauen, erzählen Sie mir nichts von Quoten.“ Diese Meinung teilte auch Christian Haser aus Reutlingen: „Die Parteien haben ein Eigeninteresse, dass alles so bleibt.“ Der 19-Jährige absolviert zurzeit einen Freiwilligendienst in Frankreich und arbeitet auf einem deutschen Soldatenfriedhof. Für ihn ist die EU trotz aller Kritik ein „Garant des Friedens“ und eine „große Chance“.
Gemeinsam mit Partnern wie dem Europäischen Jugendforum, der Dachorganisation der Jugendverbände in der EU, hat Welle das EU-Parlament und den Platz davor drei Tage lang in ein buntes, junges Dorf verwandelt. In einem Zirkus des Jugendforums zogen die Teilnehmer in der Rolle als Politiker und Lobbyisten an zwei Enden eines Stranges, nebenan rollten andere über den Skateparcours der französischen Sportjugend oder lagen auf der Wiese und übersetzten sich radebrechend ihre Lieblingswitze.
200 Redner diskutierten mit den Teilnehmern im Inneren des Parlaments, Dutzende NGOs präsentierten sich derweil draußen. Beeindruckend war die Vorstellung einer Serie aus 40 Wettbewerbsfilmen, in denen junge Europäer ihre Vision zur EU zum Ausdruck gebracht hatten. Während viele deutsche Beiträge eher bieder daherkamen, setzten andere auf eingängige Musik und witzige Aktionen. So verwandelte beispielsweise eine Gruppe junger Dänen die EU in eine Märchenfee, die das europäische Königreich sauberzaubert. In einem italienischen Beitrag träumt ein junger Mann vom Eigenheim und wird schließlich Müllmann.
Die Botschaft an die EU: Besorgt uns den Job, für den wir studiert haben! Mal zeigte man die EU als 28 Kuchenstücke, mal als vom Himmel fallende Papiersterne, mal als zum Himmel aufsteigende Ballons. Dazwischen immer wieder tanzende junge Menschen, weiße und schwarze, Menschen mit und ohne Rollstuhl, mit und ohne Kopftuch, die Sprachen bunt gemischt.
Am 25. Mai ist die Wahl zu Ende, dann erhalten die neuen EU-Abgeordneten ein 50-seitiges Manifest der besten Ideen des Wochenendes. Den Text sollten sie gründlich studieren.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen